Pädagogik und Psychologie

„Online ist mehr möglich, als man denkt …“ - Interview mit den Autoren der OLe-Studie

Die Autoren der Online-Lerntherapie-Studie, Dr. Anja Berding und Dr. Lorenz Huck beantworten im Interview Fragen zur „OLe-Studie“, in der Kinder und Eltern zu ihrer Einschätzung von Online- und Präsenztherapie befragt wurden.

Frau Dr. Berding, Herr Dr. Huck, in der sogenannten „OLe“-Studie beschäftigen Sie sich mit Erfahrungen, die Eltern und Kinder mit der Online-Lerntherapie gemacht haben. Wie genau kann man sich eine solche Online-Lerntherapie vorstellen?

Berding: In vielen Dingen unterscheidet sich die Online-Lerntherapie gar nicht von der Therapie in Präsenz: In beiden Formaten arbeitet eine Lerntherapeutin über lange Zeit hinweg und ganz regelmäßig mit einem Kind oder Jugendlichen. In beiden Formaten werden fachliche Aufgaben ausgewählt, die genau zum Entwicklungsstand des Kindes passen, und bei beidem wird das Kind mit seinen Stärken und Interessen in die Therapiegestaltung einbezogen. Lerntherapie bleibt Lerntherapie, auch wenn sie online durchgeführt wird.

Huck: Der Unterschied liegt darin, dass man sich nicht mehr in einem Therapieraum gegenübersitzt und gemeinsam mit demselben Material zusammenarbeitet, sondern sich in einer Video-Konferenz trifft. Manche Themen und Aufgaben kann man in diesem Rahmen genauso behandeln wie in Präsenz. Andere kann man mithilfe von Programmen simulieren: Ein Kind, das in der Präsenzsituation Papierkarten sortiert hätte, ordnet in der Online-Situation z. B. Bildausschnitte mit der Maus. Auf die veränderte Situation müssen sich Kinder und Erwachsene erst einmal einstellen. Fachleute, die ja in der Corona-Situation mehr oder weniger gezwungen waren, sehr schnell auf das Online-Format zu wechseln, waren oft überrascht, dass online mehr möglich war, als sie zunächst gedacht hätten. Häufig wurde aber die Meinung geäußert, dass in der Online-Lerntherapie im Vergleich zur Präsenztherapie etwas fehlte. Mit der OLe-Studie wollten wir untersuchen, wie Kinder und Eltern die beiden Therapieformate im Vergleich beurteilen.

Kommen die Studienergebnisse nicht ein bisschen zu spät? Trotz der anhaltenden Corona-Pandemie setzen die Schulen schon seit Langem wieder auf Präsenzunterricht, überall stehen die Zeichen auf Lockerung – brauchen wir so etwas wie Online-Lerntherapie überhaupt noch?

Berding: Die Frage ist berechtigt – bei uns in den Duden Instituten finden die meisten Lerntherapien tatsächlich wieder in Präsenz statt, wenn auch mit allen möglichen Vorsichtsmaßnahmen. Von der Corona-Pandemie einmal abgesehen, gibt es allerdings verschiedenste Situationen, in denen Präsenztherapie nicht oder kaum möglich ist und die Online-Therapie eine gute Alternative darstellt.

Huck: Leider kann man nicht wissen, ob uns im kommenden Winter nicht doch noch einmal gravierende Einschränkungen erwarten. Derzeit sind immer wieder Therapiekinder von Quarantäne betroffen. Und, wie Anja Berding schon sagt, gibt es auch unabhängig von der Pandemie alle möglichen Situationen, in denen die Online-Lerntherapie nützlich ist. Als im Februar das Sturmtief „Ylenia“ über das Land tobte, sollten meine Therapiekinder z. B. an einem bestimmten Tag nicht das Haus verlassen. Auch die Schulen waren damals in Berlin offiziell geschlossen, um die Kinder zu schützen … Vor ein paar Jahren wären die Therapiestunden in einem solchen Fall ausgefallen. Jetzt nutzt man die Möglichkeiten der Online-Lerntherapie! So ist es viel leichter, kontinuierlich zu arbeiten.

Also ist die Online-Lerntherapie ein gutes Mittel, um Ausnahmesituationen zu meistern?

Berding: Ja. Sie ist aber durchaus noch mehr: In der OLe-Studie haben wir jeweils mehr als 200 Eltern und Kinder zu ihren Erfahrungen mit der Lerntherapie im Onlineformat und in Präsenz befragt. Dazu haben wir eigens einen Fragebogen entwickelt, der eine verlässliche Erfassung der therapeutischen Qualität aus Sicht der Kinder und Eltern erlaubt. Ein Ergebnis war, dass die Online-Lerntherapie von beiden Gruppen weit überwiegend positiv beurteilt wurde. Die Antworten wiesen im Mittel eindeutig in diese Richtung. Auch im qualitativen Befragungsteil benannten die Kinder und Eltern viele Vorteile der Online-Lerntherapie, z. B. die größere Flexibilität, den Wegfall von Wegezeiten oder die Möglichkeit, mit modernen Medien zu arbeiten. Die große Mehrzahl der Eltern und Kinder würde Online-Lerntherapie auch weiterempfehlen.

Und wie schnitt die Online-Lerntherapie im Vergleich zur Präsenztherapie ab?

Huck: Das haben wir ebenfalls untersucht und vorab sogar die Erwartung formuliert, dass die Präsenztherapie besser beurteilt werden würde. Tatsächlich war das auch das Ergebnis: Die Befragten gaben der Präsenztherapie den Vorzug gegenüber der Online-Lerntherapie. Die Unterschiede in der Beurteilung sind durchweg statistisch signifikant, bei den Kindern fallen sie etwas größer aus als bei den Eltern.

Woran liegt das?

Berding: Das konnten wir mit den Mitteln unserer Studie nicht abschließend klären. Wir haben aber einige Hinweise aus dem qualitativen Befragungsteil gewonnen: Etwa sehen Eltern und Kinder den fehlenden persönlichen Kontakt als großen Nachteil der Online-Lerntherapie. Was genau dahinter steckt, müsste man weiterverfolgen. In einer realen Situation verständigt man sich ja nicht nur mit Worten, sondern auch durch Augenkontakt, Mimik und Gestik, manchmal indem man – im Wortsinn – in den Arbeitsprozess des Kindes „eingreift“ und etwas zeigt. All das geht im Online-Format nur mit Abstrichen.

Huck: Sehr konkret ist darüber hinaus der Hinweis der Kinder auf technische Störungen, die in der Online-Lerntherapie auftreten können und dann natürlich den Gesprächsfluss und die Zusammenarbeit stören.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den Ergebnissen der OLe-Studie?

Berding: Wir glauben, dass lerntherapeutische Einrichtungen beide Therapieformate anbieten sollten, um mit den Familien flexible Lösungen finden zu können. Für viele Familien kann das bedeuten, dass die Therapie regulär in Präsenz stattfindet, aber im Ausnahmefall auch einmal das Onlineformat zur Verfügung steht, wie Lorenz Huck das vorhin beschrieben hat. Es kann aber durchaus ebenso heißen, dass die Therapie regulär im Online-Format stattfindet, z. B., weil die Anfahrtszeit ins Institut für eine Familie nicht zumutbar wäre. Auch für Schüler/-innen an deutschsprachigen Schulen im Ausland ergeben sich durch die Online-Lerntherapie neue Möglichkeiten. Wichtig ist natürlich, dass man mit den Familien über Vor- und Nachteile spricht und dann gemeinsam eine gute Lösung findet.

Huck: Außerdem wollen wir die Online-Lerntherapie weiter verbessern, indem wir z. B. optimierte technische Rahmenbedingungen, vereinfachten technischen Support und gezielte Weiterbildungen für Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten schaffen. Und nicht zuletzt muss man auch in diesem Bereich weitere Forschung betreiben. Wenn wir besser verstehen, warum Online-Lerntherapie funktioniert, können wir irgendwann vielleicht sogar einen Beitrag dazu leisten, dass es in der Schule besser gelingt, neue Medien einzubeziehen.

Autoren der OLe-Studie

Dr. Lorenz Huck (Bild links), Diplom-Psychologe und Geschäftsführer der Duden Institute für Lerntherapie Dr. Anja Berding (Bild rechts), MA Psychologie und Forschungsreferentin der Duden Institute für Lerntherapie