Kinder und Jugendliche mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) erleben in der Schule häufig, dass die im Unterricht zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreicht, um Aufgabenstellungen zu lesen und zu verstehen, Texte oder Tafelbilder abzuschreiben oder eigene Gedanken und Formulierungen zu verschriften. Fehler beim Lesen und in der Rechtschreibung erschweren das Verständnis und die Bemühungen bei der Fehlerkorrektur erfordern viel Zeit, Ausdauer und Konzentration. Häufen sich diese Erlebnisse und kommt in Prüfungssituationen noch Zeit- und Leistungsdruck hinzu, führt dies bei einigen Kindern zu einer starken emotionalen Belastung. Im Vergleich zu Kindern ohne LRS erleben sie, dass sie aufgrund ihrer Schwierigkeiten benachteiligt sind. In den Gesprächen in der Lerntherapie hören wir daher oft den Satz: „Das ist doch ungerecht!“
Wozu dient der Nachteilsausgleich?
Um diesen Nachteil, der für die Kinder mit LRS besteht, auszugleichen, sehen die schulrechtlichen Verordnungen der einzelnen Bundesländer vor dem Grundsatz der Chancengleichheit Regelungen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz vor. Die Maßnahmen zum Nachteilsausgleich dienen dazu, die Rahmenbedingungen in Situationen der Leistungsbewertung so anzupassen, dass Kinder mit LRS Aufgaben mit vergleichbarem Anforderungsprofil lösen, dafür aber zusätzliche Hilfen oder Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um „ausreichende“ Leistungen zu erzielen, können zusätzlich Maßnahmen des Notenschutzes greifen, indem die Leistungen z. B. beim Vorlesen oder in der Rechtschreibung eine Zeit lang nicht oder nur anteilig bewertet werden.
Zusammenarbeit von Schule und Lerntherapie
Absprachen zwischen Schule und Lerntherapie ermöglichen es, sich über die Inhalte der Förderung und die Maßnahmen zum Nachteilsausgleich zu informieren und sich darüber auszutauschen, welche Formen der individuellen Unterstützung für den oder die Lernende jeweils am gewinnbringendsten sind.
So hatte z. B. die Lehrerin von Mascha mit ihr besprochen, dass sie bei Zeitdruck in der Schule die Tafelbilder abfotografieren und später in Ruhe in ihr Heft übertragen könne. In der Lerntherapie beschäftigte sich Mascha daraufhin mit der Technik des Abschreibens, sodass sie hier bald Fortschritte machte und diese Hilfe schon bald nicht mehr nutzen brauchte. Umgekehrt zeigte sie ihrer Lehrerin einen Lesefächer, der sie in der Lerntherapie beim Lesen an die wichtigsten Lesestrategien (z. B. Lesen der Überschrift, Markieren von unbekannten Wörtern, Markieren von wichtigen Wörtern, usw.) erinnerte (Leselotse, Lisum Berlin, 2002, vgl. Abb. 1). Die Lehrerin unterstützte Mascha dabei, diesen Fächer auch in der Schule zu nutzen und führte den Lesefächer sogar im gesamten Klassenverband ein.
Beispiel für einen Lesefächer
Unterstützung beim Lesen
Zur Unterstützung der Leseleistung sehen die LRS-Erlasse der einzelnen Bundesländer eine Reihe von unterschiedlichen Maßnahmen vor (siehe Abbildung 1). Mascha nutzt z. B. die zusätzliche Bearbeitungszeit in Klassenarbeiten, um schwierige Textabschnitte in Ruhe zu bearbeiten. Sie markiert zunächst wichtige Inhalte und erfragt die Bedeutung unbekannter Wörter, bevor sie mit der Beantwortung der Aufgabenstellung beginnt. Lisa profitiert beim Lesen von Aufgabenstellungen von einer silbenweisen Vorstrukturierung der Wörter - eine Strategie, die sie sowohl im Schulunterricht als auch in der Lerntherapie nutzt. Berkan wiederum nutzt während der Klassenarbeit ein Diktiergerät, um sich die Aufgabenstellungen darüber anzuhören.
Abb. 1 Mögliche Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Bereich Lesen
Nutzen der zusätzlichen Bearbeitungszeit für die Selbstkorrektur
Auch die Maßnahmen im Bereich des Rechtschreibens sind vielfältig (siehe Abbildung 3). Die Verlängerung der Bearbeitungszeit kommt am häufigsten im Rahmen des Nachteilsausgleiches zur Anwendung. Viele Kinder wissen jedoch nicht genau, wie sie diese zusätzliche Zeit möglichst effektiv nutzen können. In der Lerntherapie können dafür gezielt einzelne Vorgehensweisen erprobt und eingeübt werden. So geht Marek etwa bei der Selbstkorrektur eines geschriebenen Textes nach einem in der Lerntherapie erarbeiteten „Plan“ vor: Er prüft zunächst, ob alle Satzschlusszeichen gesetzt sind, bevor er anschließend den Text gezielt auf die Großschreibung hin überprüft (vgl. Abb. 2).
Abb. 2 Plan für die Selbstkontrolle
Ramona hingegen macht kaum noch Fehler bei der Großschreibung. Sie überprüft ihre Texte insbesondere auf Wörter mit Konsonantendopplung oder schlägt bei Unsicherheiten die Rechtschreibung von Wörtern im Wörterbuch nach - eine Technik, die sie auch in der Lerntherapie regelmäßig nutzt.
Abb. 3 Mögliche Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Bereich Rechtschreiben
Gezielte Förderung ist wichtig Maßnahmen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz sollten immer individuell ausgewählt und gemeinsam mit einer gezielten Einzelförderung angeboten werden. Bei der Ausgestaltung des Nachteilsausgleichs im Bereich Lese-Rechtschreib-Schwäche hat sich daher eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Lerntherapie bewährt: In regelmäßigen Gesprächen können Maßnahmen zur Unterstützung besprochen und abgeglichen werden mit dem Ziel, das betroffene Kind zu entlasten, zu motivieren und Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
Über die Autorin
Dr. phil. Astrid Schröder ist Diplom-Patholinguistin und war mehrere Jahre in der Forschung und Lehre an der Universität Potsdam tätig. Sie leitet bei den Duden Instituten für Lerntherapie den Bereich Forschung und Entwicklung.
Quellen Lisum Berlin (2002). Leselotse - Instrument zum Einüben von Lesestrategien.