Von Astrid Schröder, Leiterin des Fachbereichs Deutsch der Duden Institute für Lerntherapie
Mehrsprachigkeit ist in vielen Ländern der Welt heutzutage der Normalfall. Auch in Deutschland gibt es immer mehr Kinder, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) lernen. Einer aktuellen Studie zufolge liegt der Anteil an Kindern unter 10 Jahren mit Migrationshintergrund bei einem Drittel, in einigen Ballungszentren sogar bei mehr als 50 % (Bildung in Deutschland, 2016). Diese Kinder können bereits eine andere Sprache sprechen, manchmal auch lesen und schreiben. Deutsch ist dabei häufig nicht die Familiensprache, sondern die Sprache, die im Alltag außerhalb der Familie genutzt wird. Für Kinder mit nicht deutscher Familiensprache spielt deshalb der frühe und regelmäßige Kontakt zur deutschen Sprache, z. B. über den Kindergarten, für den Spracherwerb eine entscheidende Rolle.
Bei Eintritt in die Schule sind die deutschen Sprachkenntnisse innerhalb der Gruppe der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler meist sehr unterschiedlich. In den heterogenen Gruppen reicht die Zusammensetzung von Kindern, die die deutsche Sprache mühelos beherrschen, bis hin zu Kindern, die noch nahezu gar keine Deutschkenntnisse erworben haben. Geringere Vorerfahrungen mit der deutschen Sprache können dazu führen, dass auch der Erwerb des Lesens und Schreibens deutlich erschwert ist.
Schülerinnen und Schüler, die bislang nur wenig Berührung mit der (deutschen) Schriftsprache hatten, haben teilweise noch keine ausreichende Kenntnis über den Symbolgehalt von Schrift erworben und konnten die kommunikative Funktion der Schriftsprache noch nicht ausreichend entdecken. Dies äußert sich beispielsweise darin, dass sie weniger Verschriftungsversuche (z. B. Kritzeleien) als andere Schulanfänger zeigen. Ältere Kinder und Jugendliche, die erst in einer späteren Phase nach Deutschland kommen, müssen teilweise in unser lateinisches Schriftsprachsystem neu eingeführt werden und in diesem Schriftsprachsystem erneut alphabetisiert werden.
Besonderheiten der deutschen (Schrift-)Sprache
Kenntnisse über die Besonderheiten der Herkunftssprachen der Schüler sind hilfreich, um Schwierigkeiten beim Erwerb der (Schrift-)Sprache besser zu verstehen: So verfügen z. B. viele Sprachen über keine Artikel, sodass hier der Erwerb des deutschen Artikelsystems besonders schwerfällt (Heißt es nun der oder die Sonne?). Auch die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Buchstaben, die Schreib- und Leserichtung von links nach rechts und die Großschreibung von Substantiven sind schwerer zu erlernen, wenn die zuerst erworbene Sprache diese Phänomene so nicht enthält.
Verhinderung von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten
Kinder mit mangelnden Kompetenzen in der Unterrichtssprache Deutsch haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Eine gezielte Förderung ist daher wichtig. Hierbei sollten zunächst die Wahrnehmung und Durchgliederung gesprochener Sprache in einzelne Laute, deren Zuordnung zu den gedruckten Buchstaben und die Entwicklung der Lesekompetenzen im Mittelpunkt stehen. Neben Übungen zum Lesen und Schreiben nimmt insbesondere die Wortschatzarbeit eine wichtige Rolle ein. So wird beispielsweise nicht nur die Schreibweise des Wortes Fußball erarbeitet, sondern auch stets auf eine Verankerung der Bedeutung des Wortes im Langzeitgedächtnis geachtet. Hierzu eignet sich die Arbeit mit persönlichen Wörterbüchern, die neben Bildern und anderen wichtigen Wörtern zum gleichen Themenfeld (z. B. Trainer, Mannschaft, Spieler) auch Begriffe aus der Erstsprache enthalten können.
Würdigung der Erstsprache
Diese Würdigung der Erstsprache (Wie heißt das denn in Deiner Sprache? Gibt es dafür auch einen Buchstaben in Deiner Sprache?) ist ein wichtiger Bestandteil des interkulturellen Lernens sowohl der schulischen als auch der außerschulischen Förderung. Um die Kinder vor demotivierenden Misserfolgen zu bewahren, ist auch eine positive Beziehung zur Lehrperson wichtig, in der das Kind sich akzeptiert und wertgeschätzt fühlt und so ein positives Selbstkonzept entwickeln kann. Bei ausreichender Förderung kann sich dann der Erwerb der Schriftsprache als ein eigenaktiver, kreativer Prozess vollziehen, der die Neugier weckt und eine aktive Suche nach dem Regelwerk und der Struktur der deutschen Schriftsprache umfasst.
Literatur Rösch, H. (2001). Handreichung Deutsch als Zweitsprache. Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin.