Von Jana Köppen, Leiterin des Fachbereichs Mathematik der Duden Institute für Lerntherapie
Nachteilsausgleich – was bedeutet das eigentlich? Wörtlich: Ein Nachteil soll ausgeglichen werden. Letztlich soll also der Lernprozess eines Kindes, das sich durch ein Handicap ohnehin mehr anstrengen muss und zudem emotional belastet ist, nicht noch stärker beeinträchtigt werden.
Von Elternverbänden, Lehrkräften und Schulleitungen wird gefordert, die gesetzlichen Grundlagen auszuweiten und verlässliche Regelungen auch für Kinder mit gravierenden Schwierigkeiten beim Mathematiklernen (Rechenschwäche) über die ersten Schuljahre hinaus zu finden. Derzeit gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Vorgaben, die für betroffene Lernende über mehr oder weniger Schuljahre hinweg Entlastungen schaffen. Die praktische Umsetzung bleibt eine Herausforderung.
Weshalb gestaltet sich die Diskussion um hilfreiche Maßnahmen für das Fach Mathematik so komplex?
Ein Vergleich mit der Situation im Deutschunterricht ist aufschlussreich. Ein Kind, das große Schwierigkeiten beim Lesen hat, erhält wirksame Unterstützung, indem ihm Fragestellungen vorgelesen werden. Für Kinder mit Rechtschreibschwäche kann das Schreiben am Laptop mit der Nutzung von Korrekturfunktionen oder die Verwendung eines Wörterbuchs eine Hilfe sein. Inhaltliche Gestaltung und der sprachliche Aufbau von geschriebenen Texten liefern die Grundlage für Leistungsbewertungen – die Benotung der Rechtschreibung wird im Nachteilsausgleich oftmals ausgesetzt. Der Deutschunterricht beinhaltet viel mehr als Rechtschreiben und Lesen, wenngleich auch beides die Grundlage für die Arbeit mit Texten ist. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld im Deutschunterricht betrifft das sogenannte „mündliche Sprachhandeln“: Bereits in den Anfangsschuljahren wird begonnen, z. B. über Texte zu sprechen. Auch hier eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten für Kinder mit Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten, Erfolgserlebnisse zu erfahren. Überhaupt kann eine Verlagerung auf mündliche Aktivitäten die Kinder mit Rechtschreibschwierigkeiten deutlich entlasten.
Beim Mathematiklernen erscheint die Situation anders. Die Möglichkeiten, Mathematik zu betreiben, ohne über angemessene grundlegende Fähigkeiten und mathematische Vorstellungen zu verfügen, sind beschnitten. Die Auseinandersetzung mit Zahlen und Grundrechenoperationen bildet zwar nicht den gesamten Unterricht der Grundschule ab, jedoch einen großen Teil. Das Verständnis zu Geld, zur Uhrzeit oder zu Längen wird ebenfalls davon getragen, über gute Zahlvorstellungen zu verfügen. Insofern bietet die Beschäftigung mit der Geometrie für betroffene Kinder eine besonders gute Chance, Erfolge zu erlangen. Insgesamt sind aber der Kern des Lernproblems und die Bewältigung der Lernanforderungen im Unterricht unmittelbar miteinander verquickt. Dieser Umstand erschwert die Aussetzung der Benotung über die Grundschulzeit hinweg. Didaktisches Material als Hilfsmittel zur Zahldarstellung verliert am Ende der Grundschulzeit seine Handhabbarkeit im Unterrichtsalltag.
Ein Nachschlagewerk liefert vielleicht die Erklärung für einen Rechenweg, nimmt ihn dem Kind aber nicht ab und erfordert zudem Transferleistungen in der Anwendung auf das eigene Beispiel. Eine Verlagerung von schriftlichen zu mündlichen Darstellungen, wie sie in den Regelungen zur Ausgestaltung von Nachteilsausgleichen vorgeschlagen wird und die für das Schreiben nützlich ist, hilft den Kindern beim Rechnen meist nicht. Im Gegenteil, hier bringt es Entlastung, wenn Rechenwege durch Zeichnungen oder Zwischenergebnisse oder Notizen zu Teilrechnungen unterstützt werden.
Und wie gehen eigentlich Überlegungen, die für die Differenzierung angesichts einer ohnehin sehr heterogenen Klassengemeinschaft angestellt werden mit denen für einen Nachteilsausgleich zusammen? Hier sind noch viele Fragen offen: Vielversprechende Forschungs- und Praxisprojekte befassen sich beispielsweise mit der Gestaltung guter, facettenreicher Aufgaben, die alle Kinder auf ihrem Niveau ansprechen sowie sinnvolles Tätigsein und Lernerfolge ermöglichen. Wenn Förderung und Differenzierung Hand in Hand gehen, bereichern sie in jedem Fall organisatorische Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs.
Neben ihrer Tätigkeit als Lerntherapeutin bei den Duden Instituten für Lerntherapie ist Jana Köppen für die Weiterentwicklung der Rechenschwäche-Therapie bei Grund- und Sekundarschülern zuständig. Sie forscht nach neuen methodischen Ansätzen und bildet Kolleginnen und Kollegen auf dem Gebiet der integrativen Lerntherapie bei Rechenschwäche aus.