Pädagogik und Psychologie

Lerntherapeutische Unterstützung an Schulen – Hilfe für Kinder mit Lernschwierigkeiten

Wie kann Lerntherapie im Rahmen des Startchancen-Programms benachteiligte Schülerinnen und Schüler unterstützen? Im Interview gibt Dr. Lorenz Huck, Geschäftsführer der Duden Institute für Lerntherapie, spannende Einblicke in die Chancen und Herausforderungen einer engeren Zusammenarbeit zwischen Schulen und Lerntherapeutinnen und -therapeuten.

Mit integrativer Lerntherapie werden Kinder und Jugendliche mit gravierenden Schwierigkeiten beim Lesen-, Schreiben- oder Rechnenlernen individuell gefördert. Auch wegen der häufig damit einhergehenden psychischen Belastungen finden die Lerntherapiestunden im Einzelsetting und außerhalb des Lernorts Schule statt. Einrichtungen, die integrative Lerntherapie durchführen, bewerben sich derzeit darum, Schulen im Zuge des Startchancen-Programms zu unterstützen. Worum geht es dabei?

Mit dem Startchancen-Programm stellen die Bundesregierung und die Länder in den nächsten zehn Jahren Fördermittel in Milliardenhöhe zur Verfügung. Damit sollen rund 4000 ausgewählte Schulen in ganz Deutschland unterstützt werden, die einen besonders hohen Anteil an benachteiligten Schülerinnen und Schülern haben. (Anmerkung der Redaktion: Das Bildungsministerium informiert hier über das Programm.)

Ein großer Teil des Geldes soll verwendet werden, um die Entwicklung von Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und in der Mathematik zu fördern und sicherzustellen. Auch die Persönlichkeitsentwicklung, z. B. die Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen, ist ein Ziel. Lerntherapeutinnen und -therapeuten sind bestens qualifiziert, um dabei zu helfen. Außerdem gibt es bereits zahlreiche Erfahrungen aus der Zusammenarbeit von Schule und Lerntherapie, auf die wir zurückgreifen können, um Maßnahmen wie Kleingruppenförderung in der Schule oder Fortbildungen und Coachings für Lehrkräfte zu gestalten.

Welche Vorteile bietet eine Kooperation von Lerntherapie und Schule im Rahmen des Startchancen-Programms aus Ihrer Sicht?

Ein wesentliches Ziel des Startchancen-Programms ist es, Chancengleichheit in der schulischen Bildung zu sichern. Wer eine Lerntherapie nicht selbst bezahlen kann, hat bisher eigentlich nur die Möglichkeit, beim örtlichen Jugendamt einen Antrag auf Kostenübernahme zu stellen. Dazu müssen aber viele Voraussetzungen erfüllt sein und das Verfahren ist entsprechend langwierig. Gerade Familien, die es ohnehin schwer haben, können daran oft scheitern. Über das Startchancen-Programm finanzierte Lerntherapie in der Schule könnte den Kindern zugutekommen, die sonst keine adäquate Hilfe erhalten hätten. Lerntherapeutische Kleingruppenförderung kann aber sicher auch präventiv wirken: Setzt die Förderung früh genug an, können bestimmte Schwierigkeiten aufgefangen und bearbeitet werden, ehe sich Lernschwierigkeiten verfestigen und psychische oder soziale Belastungen entstehen.

Lerntherapeutinnen und -therapeuten können sich aber auch als Fachkräfte in das sogenannte multiprofessionelle Team der Schule einbringen. Die moderne Schule sieht sich einer großen Zahl von Aufgaben und tendenziell wachsenden Herausforderungen gegenüber: Inklusion, Umgang mit digitalen Medien, Mehrsprachigkeit ... Die Liste ist lang. Lehrkräfte sind sehr gut qualifiziert, brauchen aber Austausch mit und auch Unterstützung von anderen Berufsgruppen: Schulpsychologie, Schulsozialarbeit … und eben auch Lerntherapeutinnen und -therapeuten.

Was sind die Voraussetzungen für gelingende Kooperationen zwischen Lerntherapieeinrichtungen und Schulen?

Zunächst sollte eine Kooperation nicht von außen vorgegeben, sondern von allen Beteiligten gewollt sein. Als Lerntherapeutinnen und -therapeuten müssen wir es schaffen, mit unseren Konzepten zu überzeugen und bei den Verantwortlichen in der Schule Lust und Neugier auf eine Zusammenarbeit zu wecken. Wir müssen aber auch selbst offen dafür zu sein, von den Lehrkräften zu lernen. Ist die Finanzierung über einen längeren Zeitraum gesichert, können mit der Zeit Arbeitsbeziehungen entstehen, die auch über manche Schwierigkeit hinwegtragen. Dazu kommen natürlich viele organisatorische Details: Wie groß kann eine lerntherapeutische Kleingruppe sein? Wie werden die Kinder ausgewählt? Gibt es Diagnoseergebnisse, die für die Förderplanung genutzt werden können? Gibt es einen festen, geeigneten Raum für die Lerntherapie? Ist die Zeit so gewählt, dass sie für die Kinder und die Therapeutin gut passt? ‒ Wenn man sich für die Zusammenarbeit von Lerntherapie und Schule interessiert, empfehle ich diesen Übersichtsartikel dazu, den der FiL – Fachverband für integrative Lerntherapie auf seiner Website veröffentlicht hat.

Was erwarten Sie für die Zukunft? Wird Lerntherapie in der Schule die außerschulische Lerntherapie, wie sie im Moment üblich ist, ersetzen?

Das ist natürlich nur schwer vorherzusagen. Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft eine größere Zahl von Schülerinnen und Schülern geben wird, für die eine außerschulische Lerntherapie die beste Hilfe ist. Kinder und Jugendliche, die am Lernort Schule zahlreiche Misserfolgserfahrungen gesammelt haben, brauchen oft ‒ zumindest eine Zeit lang ‒ eine völlig andere Umgebung, um sich dem Thema Lernen wieder nähern zu können. Ich bin jedoch überzeugt, dass Lerntherapie in der Schule zunehmend an Bedeutung gewinnen und die Kooperation von Lerntherapie und Schule immer intensiver werden wird. Generell denke ich, dass es immer selbstverständlicher wird, dass Fachkräfte unterschiedlicher Berufsgruppen in der Schule zusammenarbeiten und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten.

Dr. Lorenz Huck ist Geschäftsführer und Fachbereichsleiter Interdisziplinäre Integration der Duden Institute für Lerntherapie.