von Marleen Dudjahn
Während es für die Feststellung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche im Deutschen verschiedene standardisierte Testverfahren gibt (z. B. Hamburger Schreib-Probe, Deutscher Rechtschreibtest), liegt für die Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Schwäche im Englischen als Fremdsprache kein standardisiertes Instrument vor. Für die Ableitung von passgenauen Therapie- oder Fördermaßnahmen ist eine detaillierte Feststellung der Schwierigkeiten beim Erlernen der Fremdsprache aber unbedingt notwendig. Im schulischen Rahmen bieten z. B. Lernstandserhebungen die Möglichkeit, sich ein genaueres Bild von den Schwierigkeiten zu machen (Böttger, 2009). Weiterhin kann auch die individuelle Analyse von Schriftproben und Leseleistungen Hinweise auf erhebliche Lernschwierigkeiten im Fach Englisch geben.
Erfassen des Lernstands im schulischen Rahmen
In der Primarstufe orientiert sich der Englischunterricht noch stark an mündlichen Kompetenzen, sodass Probleme in der Schriftsprache eventuell noch nicht auffallen. Spätestens in der Sekundarstufe können aber Anhaltspunkte auf eine LRS in der Fremdsprache Englisch beobachtet werden. Um sich ein genaueres Bild der Auffälligkeiten zu machen, können Leitfragen hilfreich sein, die David Gerlach (2015, S. 147) in einem Beobachtungsbogen zusammengestellt hat. Dieser Bogen wurde für den vorliegenden Artikel freundlicherweise von AlphaPROF, dem Online-Fortbildungsprojekt der LegaKids Stiftung, zum Download zur Verfügung gestellt (s. unten).
Förderdiagnostik in der Lerntherapie
In der Lerntherapie gibt es die Möglichkeit, ganz individuell auf die jeweiligen Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen, sodass auch in der Diagnostik die Problembereiche differenziert beleuchtet werden können bzw. müssen. An den Duden Instituten für Lerntherapie werden in einer eingehenden Förderdiagnostik verschiedene Fähigkeiten für das Erlernen der Fremdsprache Englisch untersucht (Dudjahn, 2017). Dabei werden auch bestimmte Lernvoraussetzungen überprüft, z. B. die Fähigkeit, ähnliche Laute zu unterscheiden. Viele Schülerinnen und Schüler haben beispielsweise Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von „s“ und „th“. Diese Laute sind im Englischen im Gegensatz zum Deutschen bedeutungsunterscheidend (z. B. „think“ – „sink“). Außerdem ist das sichere „Hören“ eines „th“ Voraussetzung für eine korrekte Verschriftung des Lautes. Im Bereich der Rechtschreibung werden unter anderem die Kenntnisse der Lernenden zur Umsetzung von englischen Laut-Buchstabe-Beziehungen angeschaut. Dabei gilt eine besondere Beobachtung der Frage, ob die Lernenden bereits typische englische „Spelling Rules“ kennen, diese aber falsch umsetzen („neam“ statt „name“) oder ob sie sich an einer überwiegend deutschen Verschriftung orientieren („wiek“ statt „week“). Auch das Erkennen englischer Buchstabe-Laut-Beziehungen beim Lesen fließt in die diagnostische Beobachtung ein. Hier zeigt sich häufig, dass die Schülerinnen und Schüler auf deutsche Aussprachemuster zurückgreifen oder Wörter immer wieder anders aussprechen. Für die Planung der Lerntherapie oder Förderung lässt sich daraus der Rückschluss ziehen, dass beim Vokabellernen ein besonderes Augenmerk auf diese Spelling Rules zu legen ist und diese ggf. in einem therapeutischen Kontext mit dem Kind erarbeitet und gefestigt werden müssen.
Grammatische Kompetenzen
Neben der Erfassung von schriftsprachlichen Kompetenzen sollten auch die grammatischen Kenntnisse und Fähigkeiten überprüft werden. Eine besondere Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler stellt u. a. die Satzstellung im Englischen dar. Auch die Bildung und Anwendung von Zeitformen bleibt für viele Lernende undurchschaubar. Bei grammatischen Auffälligkeiten ist es wichtig, einen Blick auf das vorhandene Wissen der Kinder zu werfen: Kennen sie bestimmte grammatische Regeln und können sie diese beim Schreiben und/oder Sprechen nicht anwenden oder sind ihnen die grammatischen Kenntnisse unbekannt und sie greifen auf deutsche Strukturen zurück („In my free Zeit I go football play“)?
Zu viele Fehler
Nicht nur die Art der Fehler (Lesen, Schreiben, Grammatik), auch die Anzahl kann ein Hinweis auf eine Lese-Rechtschreib-Schwäche in Englisch sein. Die Schülerinnen und Schüler produzieren meist überproportional viele Fehler gemessen am Klassendurchschnitt. Zusätzliches Üben zeigt wenig Erfolg ‒ wie auch bei einer LRS in Deutsch. Die Folge ist, dass die Schülerinnen und Schüler häufig frustriert sind und die Lust am Englischlernen verlieren. Auch dieser Punkt ist bei diagnostischen Fragestellungen nicht zu vernachlässigen. So ist in der Lerntherapie häufig ein erster wichtiger Schwerpunkt, die Motivation der Lernenden wieder aufzubauen und zu stärken. Trotz des Mangels an standardisierten Diagnostikverfahren für eine LRS in Englisch lässt sich mittels förderdiagnostischer Fragestellungen ein recht genaues Bild des Entwicklungsstands und der Fehlerarten feststellen. Somit können Förder- bzw. Therapieschwerpunkte passgenauer abgeleitet werden mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schüler wieder für die Fremdsprache zu motivieren und zur Bewältigung des Regelunterrichts zu befähigen.
Literatur:
Böttger, H. (2009). Test it!: Lernstandsermittlungen im Englischunterricht der Grundschule. Verfügbar unter diesem Link.
Dudjahn, M. (2017). Lese-Rechtschreib-Schwäche in der Fremdsprache Englisch. In L. Huck & A. Schulz (Hrsg.), Lerntherapie und inklusive Schule (S. 235-252). Berlin: Dudenverlag
Gerlach, D. (2015). Fremdsprachenvermittlung im inklusiven Klassenraum bei LRS. In M. Michalak & R. Rybarczyk (Hrsg.). Wenn Schüler mit besonderen Bedürfnissen Fremdsprachen lernen (S. 140– 167). Weinheim: Beltz.
Zum Download mit freundlicher Genehmigung von AlphaPROF: Beobachtungsbogen Fremdsprachen
Über die Autorin:
Marleen Dudjahn leitet den Fachbereich Englisch der Duden Institute für Lerntherapie und arbeitet als Institutsleiterin am Standort Berlin-Treptow.