Geometrie als Hilfe und Prävention bei Rechenschwäche?

Von Jana Köppen, Leiterin des Fachbereichs Mathematik der Duden Institute für Lerntherapie

„Wir leben in einem Universum voller Muster … Menschlicher Geist und menschliche Kultur haben ein formales Denksystem entwickelt, um Muster zu erkennen, klassifizieren und ausnutzen zu können. Wir nennen dieses System Mathematik …“ (Ian Stewart in: „Die Zahlen der Natur“. Heidelberg 1998, S. 11)

Kinder mit erheblichen Schwierigkeiten beim Mathematiklernen fallen dem Umfeld besonders aufgrund ihrer „schlechten“ Rechenleistungen auf: Oft bearbeiten sie Additions- und Subtraktionsaufgaben zählend und behelfen sich mit aufwendigen „Tricks“. Das Umfeld der betroffenen Kinder und Jugendlichen beschreibt zudem häufig, dass sich die Kinder unter Zahlen nichts vorstellen können. Als Schlussfolgerung befasst sich Hilfe für diese Kinder mit dem Gewinnen von Einsichten in Zahlenraum, Zahlvorstellungen und Rechenoperationen. Das ist auch richtig so, aber hier sollen Argumente dargelegt werden, die den Blick weiten und zusätzlich der Geometrie ihren berechtigten Stellenwert einräumen.

Rechenschwäche wird oft reduziert auf Nicht-rechnen-Können. Entwicklungsverzögerungen in kognitiven Fähigkeiten und Erfahrungsmängel spiegeln sich im mathematischen Bereich jedoch häufig auch im Umgang mit geometrischen Inhalten wider. Vorstellungs- und Abstraktionsprobleme beim Verständnis der Körperformen zeigen sich z. B. im Verwechseln der Begriffe zu Körpern und Flächen sowie in den Schwierigkeiten der Kinder beim Benennen von Eigenschaften. Wenn diese formal auswendig gelernt werden, ist eventuell für das Kind gar nicht geklärt, was beispielsweise überhaupt eine Kante ist.

Auffälligkeiten im räumlichen Vorstellungsvermögen zeigen sich auch im Umgang mit Würfelbauten. Kann ein Grundschulkind die ebene Darstellung einer Anordnung von Würfeln, wie in Abb. 1 gezeigt, erfassen, z. B. nachbauen oder die Anzahl der benötigten Würfel bestimmen? Wozu soll das wichtig sein, wenn doch das Rechnenlernen viel wichtiger erscheint?

Hier einige Argumente, die helfen sollen, der Geometrie bei der Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten mehr Gewicht zu geben:

  • Fast jedes Denken, jede kognitive Kompetenz bedient sich visueller, d. h. geometrischer Stützen. Visuell-geometrische Erfahrungen und ein entsprechendes Können sind von grundlegender Bedeutung für die kognitive Entwicklung jedes Kindes.
  • Bei der Vorstellung des Zahlenraums und über das Durchführen von Rechenoperationen liegen räumliche Denkbilder zugrunde. Schwierigkeiten in der Raumvorstellung sind eine häufige Ursache für Rechenschwäche.
  • Die Beschäftigung mit der Geometrie erlaubt den Kindern, ihre Erfahrungen im Umgang mit geometrischen Objekten aus Alltag und Spiel aufzugreifen und ihre Umwelt besser zu erschließen. Durch die Auseinandersetzung mit geometrischen Inhalten erfolgt eine hohe Motivation für das Mathematiklernen. Beides stärkt das Selbstvertrauen der Kinder, das durch Misserfolge beim Rechnen oft sehr belastet ist.
  • Die Ausbildung arithmetischer Begriffe hängt eng mit der Entwicklung geometrischer Grundvorstellungen zusammen. Beispiel: Wenn Kinder in der integrativen Lerntherapie haptische Materialien nutzen, um ihre Zahlvorstellungen weiterzuentwickeln, spielen räumliche Anordnungen und räumliche Strukturen eine Rolle. Um diese erfassen zu können, bedarf es räumlicher Vorstellungsfähigkeiten.

Die Entwicklung geometrischer Denkweisen fördert wichtige Voraus- setzungen für die Entwicklung von Zahlvorstellungen, da es dem Kind gelingen muss, innere Vorstellungsbilder aufzubauen. Beim Rechnen- lernen geht es schließlich darum, Denkbilder zu verändern. Zusätzlich werden Orientierung und Abstraktionsvermögen geschult. Die Beschäftigung mit geometrischen Inhalten trägt somit zur Prävention und Überwindung von Rechenstörungen maßgeblich bei.

Praktisch sollte daraus folgen, dass alle Kinder und insbesondere diejenigen, die bereits viele Misserfolge im arithmetischen Bereich erlebt haben, viel und vor allem kontinuierlich Gelegenheit erhalten, Erfahrungen im geometrischen Bereich zu sammeln.

Da Modelle und Repräsentanten zu Körperformen – im Gegensatz zu Flächenformen – sinnlich wahrnehmbar sind, sollten sie der Betrachtung von Flächenformen zeitlich bevorzugt werden. Modelle z. B. in Gestalt von Holz- oder Plastikformen können immer wieder betastet, beschrieben und benannt werden. Im Umfeld wird nach Beispielen gesucht: Eine Tasse oder eine Dose können zylinderförmig sein, Schränke und Bücher sind meist quaderförmig usw. Körpermodelle können aus Knetmasse geformt werden (Abb. 2).

Räumliche Anordnungen lassen sich mit Würfeln und weiteren Bausteinen aufbauen. Zeichnen mit und ohne Hilfsmittel, Falten von Origamifiguren (Abb. 3), die Beschäftigung mit Mustern und Spiegelbildern und viele, viele weitere geometrische Inhalte werden von Kindern mit Lernschwierigkeiten mit großer Begeisterung aufgegriffen.

Neben den positiven Auswirkungen dieser Freude auf das Selbstvertrauen entwickeln sich dadurch kognitive Lernvoraussetzungen für erfolgreiches Mathematiklernen weiter. Deshalb wird die Arbeit an geometrischen Inhalten von der ersten Therapiestunde an in die Duden-Lerntherapie miteinbezogen.

Untenstehend finden Sie einige Arbeitsblätter zum Thema Geometrie aus der Duden-Lerntherapie: