Erfolgsgeschichten

Vom analogen zum hybriden Unterricht: Erfahrungen aus einer Grundschule in Brandenburg

Im März kam es zur coronabedingten Schließung der Schulen. Eine Schulleiterin berichtet von ihren Erfahrungen während des ersten Lockdowns.

Ines Tesch, Schulleiterin der Sigmund-Jähn-Grundschule, Fürstenwalde/Spree

Ausgangslage zu Beginn der Schulschließungen

Im März 2020 überraschte uns die Meldung über die coronabedingte Schließung der Schulen eigentlich in einer recht günstigen Ausgangslage: Als Pilotschule der Schulcloud Brandenburg waren wir schon auf dem Weg zum digitalen Unterricht. Aufgrund fehlender technischer Ausstattung nutzte das Kollegium aber bis dahin die Schulcloud hauptsächlich für das Hochladen und Teilen von Dateien untereinander. Nur wenige Lehrkräfte setzten die Cloud im Computerraum der Schule tatsächlich bereits im Unterricht ein. Weitere Endgeräte besaß unsere Schule noch nicht. Alle Kolleginnen und Kollegen erstellten daher für den Fernunterricht zunächst individuelle Lernhefter für die Kinder mit einem Wochenplan.

Lebhafte Weiterbildungen in verwaisten Klassenzimmern

Für die Lehrkräfte unterbreitete die Schulleitung dann das Angebot, sich während der Schulschließung in die frisch zur Verfügung gestellte Dienstmailsoftware, die Schulcloud, und in digitale Angebote einzuarbeiten. In den leeren Klassenzimmern trafen wir uns unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln zu zweit oder zu dritt und lernten gemeinsam, Videokonferenzen durchzuführen, Themen und Aufgaben in der Schulcloud zu erstellen, mit den Smartboards umzugehen und Erklärvideos zu drehen. Wir genossen die fröhliche und konstruktive Atmosphäre, die gemeinsame Zeit und die Gelegenheit, Dinge gemeinsam anzustoßen, die sonst zu kurz kommen. Vier Wochen später hatten wir dann unzählige Materialien zusammengestellt: Ein Video mit einer Grußbotschaft von allen Lehrkräften, Aufgaben, Erklärvideos, interaktive Mathematikaufgaben, Freizeitangebote und virtuelle Spaziergänge im Wohnumfeld mit Quiz, einen virtuellen Museumsrundgang, Links zur Radfahrprüfung und zur Vorbereitung auf die Orientierungsarbeiten, Tipps für Eltern und Kinder z. B. zum Rechnen mit Mehrsystemmaterialien, Sportunterricht per Video, eine Anleitung für den Musikunterricht, Lesetipps, Klassenchat u. v. m.

Frau Schwarz und Frau Rojas Velozo drehen ein Video für den Englischunterricht und nehmen Audiodateien mit Vokabeln auf

Unterstützung bei der Arbeit mit der Schulcloud

Mit der Information über die Schließung bekamen die Eltern auch eine Anleitung zur Erstellung eines Accounts in der Schulcloud. Es stellte sich jedoch heraus, dass nur ca. 50 Prozent der Eltern einen Account für ihr Kind anlegten und nur wenige Kinder häusliche Unterstützung beim Einloggen und Erkunden der Schulcloud erhalten konnten. An einer Videokonferenz nahmen beispielsweise nur fünf Kinder teil. Die Klassenchats blieben weitestgehend still.

Uns wurde klar: Die Familien brauchten unsere Unterstützung. Etwa 40 Prozent der Eltern unserer Schule gaben an, keine Mailadresse zu besitzen. Die Kommunikation mit den Eltern lief also hauptsächlich über Dienstmail und Telefon, aber auch persönliche Besuche am Gartenzaun und verschiedene Messenger wurden genutzt. Dolmetscher erklärten Eltern mit Migrationshintergrund, wie ein Account angelegt wird, und halfen bei der Einrichtung. Auf diese Weise wurden weitere Hürden deutlich: So wissen wir jetzt, dass man mit Tastaturen mit kyrillischen oder arabischen Buchstaben keine Zugänge in deutsche Clouds anlegen kann. Das betrifft ca. 80 unserer Kinder. Also legten wir die Accounts in der Schulcloud für die Kinder mit Einwilligung der Eltern selbst an.

Frau Rattey erklärt ein naturwissenschaftliches Experiment. Das Video wird auf die Schulcloud geladen

Persönliche Kontaktaufnahme

Viele Kinder brachten die Lernhefter pünktlich wieder in die Schule. Wir Lehrkräfte gaben die Aufgaben mit einem individuellen Feedback und einem neuen Wochenplan versehen an die Kinder zurück. Einige Schüler/-innen waren für uns aber auch sehr schwer erreichbar. Nach und nach holten wir diese Kinder einzeln an die Schule. Je weniger ein Kind zu Hause arbeitete, desto häufiger wurde es in die Schule eingeladen. Diese Kinder hatten zu Hause meist kein Endgerät, manchmal auch kein Internet oder keinen Arbeitsplatz zur Verfügung. Hier war die Beziehungsarbeit besonders wichtig. Insbesondere Kinder nichtdeutscher Herkunft erschienen uns benachteiligt und wir hatten den Eindruck, dass sich bereits erworbene deutsche Sprachkenntnisse zwischen März und August wieder verschlechterten. Und es gab auch Kinder, denen es sichtlich nicht gut ging. Die Lehrkräfte bemühten sich um Lösungen und suchten das Gespräch mit den Eltern, dem Schulträger und bei einigen Kindern auch mit dem Jugendamt. So konnten einige Kinder in der Notbetreuung untergebracht werden, die auch regelmäßiges Essen, Hilfe bei den Aufgaben und Freizeitangebote bereithielt.

Es ging voran: Digitales Training – nicht nur für das Distanzlernen

In den Sommerferien wurden unsere Schulräume verkabelt, Accesspoints (Datenstationen) gesetzt und wir bereiteten die europaweite Ausschreibung für Digitalpakt 1 und 2 (Fördermittel) vor. In der Schule wurden Hardware, Apps und digitale Lernplattformen ausprobiert, Konzepte und das schulinterne Curriculum ergänzt. Alle Kinder unserer Schule haben nun einen Account für die Schulcloud und üben, damit zu arbeiten. Sie arbeiten sich in Apps und Lernplattformen ein und trainieren so für den Fall einer hoffentlich nicht eintretenden zweiten Schulschließung. Falls es doch dazu kommt, sind wir gründlicher vorbereitet: 60 Prozent der Kinder werden dann ein Endgerät als Leihgabe aus dem Digitalpakt 2 erhalten und es besser zu handhaben wissen als beim ersten Lockdown. Daran arbeiten wir gerade täglich, unterstützt von der Caritas, die uns Tablets zum Üben leihweise überließ. Für den Erhalt der Tagesstruktur der Kinder würden wir im Fall einer Schulschließung dann sowohl morgens als auch nachmittags gemeinsame Treffen per Videotool in der Schulcloud planen, in denen auf den Tag eingestimmt bzw. wertschätzendes Feedback gegeben wird. Wir trainieren gerade, wie man im Chat der Schulcloud und per Videokonferenz Fragen stellt, mithilfe von Erklärvideos lernt und sich virtuell gegenseitig unterstützt.

Kultur des Teilens

Jede Krise bietet auch Chancen ‒ dieser Satz trifft auch auf uns zu. Das Kollegium ist enger zusammengewachsen und hat seine digitalen Kompetenzen um ein Vielfaches erhöht. Unterrichtsvorbereitungen, Links, Themen, Aufgaben, Erklärvideos, Methoden und andere Materialien werden in der Schulcloud zunehmend geteilt, ausprobiert, evaluiert und – wenn für gut befunden – etabliert. Etliche virtuelle Teams haben sich – sogar schulübergreifend – in der Cloud zur Zusammenarbeit gegründet. Lehrkräfte, die so arbeiten, sind wesentlich effizienter bei der Unterrichtsvorbereitung. Die Kinder trainieren, selbstständiger mit digitalen Medien zu lernen, erkennen Möglichkeiten und Risiken und erfreuen sich an individuellen Lernangeboten auf unzähligen Niveaustufen. Mit Freude produzieren unsere Sechstklässler/-innen bereits selbst Erklärvideos, von denen dann auch jüngere Kinder profitieren.