Pädagogik und Psychologie

Rechnen und Lesen unter einem Hut – ein Erfahrungsbericht aus der Lerntherapie

Ein Erfahrungsbericht über eine besondere Situation: Gezeigt wird, wie es gelingen kann, wenn an der Überwindung der Lese-Rechtschreib- und der Rechenschwäche zugleich in einer Therapieeinheit gearbeitet wird.

von Patricia Purat

Aus organisatorischen und/oder finanziellen Gründen ist in der Lerntherapie bei Kindern, die große Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen haben, nicht immer die Möglichkeit gegeben, die Schwerpunkte LRS und Rechenschwäche parallel in zwei wöchentlichen Therapiestunden zu bearbeiten. Gleichzeitig können die Schwierigkeiten in beiden Fachbereichen so groß sein, dass nicht zu entscheiden ist, in welchem Fach das Kind größere Probleme hat und sich stärker belastet fühlt, sodass auch die Organisationsform zweier sukzessiver Therapien mit alternierender Intensivtherapie nicht optimal erscheint. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, die Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen in einer wöchentlichen Therapiestunde zu bearbeiten. Der folgende Erfahrungsbericht über den Schüler Leo zeigt, wie dies gelingen kann.

Leo, ein Kind mit verschiedenen Lernschwierigkeiten

Als Leo mit der Lerntherapie startete, besuchte er die 3. Klasse. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen noch sehr basal entwickelt: Er hatte große Schwierigkeiten, sich im Zahlenraum 100 zu orientieren, er rechnete zählend mit den Fingern und las buchstabenweise. Den Eltern und Leo fiel es schwer zu entscheiden, welcher Lernbereich stärker betroffen war. Hilfe war dringend in beiden Bereichen erforderlich. Die Eltern finanzierten die Lerntherapie privat und konnten so einen Termin in der Woche realisieren.

Eine Basis in Mathematik und im Lesen schaffen

Also einigten wir uns darauf, in einer Therapiestunde sowohl das Lesen als auch den Fachbereich Mathematik zu bearbeiten, wobei die Mathematik dabei etwas stärker in den Fokus rücken sollte. Der Grundgedanke hierbei war, Leo zügig generelle Strukturen und Zusammenhänge des Zahlenraums (beginnend bei Zahlen bis 10) zu vermitteln, die in ihren Grundzügen auch auf größere Zahlenräume übertragen werden können.

Rituale schaffen und für Transparenz sorgen

Um den Stundenablauf transparent zu gestalten, wurde dieser zu Beginn jeder Therapiestunde mittels einer visuellen Stundenplanung besprochen und vertraute Arbeitsmaterialien lagen übersichtlich an einer für Leo einsehbaren Stelle (s. Abb. xx und Abb. xxx).

Die Grundstruktur des Ablaufs („Zuerst lesen wir, dann beschäftigen wir uns mit der Mathematik.“) blieb über einen langen Therapiezeitraum gleich, sodass Leo keinerlei Probleme mit dem Wechsel des Fachbereichs innerhalb der Stunde hatte.

Inhalte gut abgegrenzt bearbeiten

Zu Beginn jeder Stunde erfolgte eine etwa zehnminütige Leseübung. Schwerpunkt war dabei die Lesetechnik. Ziel war die Überwindung des buchstabenweisen Lesens: Im Fokus stand daher das Lesen größerer Einheiten, z. B. zunächst Silben, dann kleine Wörter, hin zu Sätzen. Es folgte eine etwa fünfzehnminütige Arbeitsphase im Bereich Zahlvorstellungen. Hier stand das Untersuchen und Nutzen von Strukturen des Zahlenraums im Vordergrund. Leo entdeckte Zahlbeziehungen, erkundete Nachbarzahlen und stellte die Zahlen dabei immer wieder auch mit Mehrsystemmaterial dar (s. Abb. xx).

Außerdem untersuchte er die Zahlwortbildung im Deutschen: Leo entdeckte, dass in der arabischen Zahlenschreibweise der Zehner vor dem Einer notiert wird (92), in der deutschen Zahlwortbildung die Reihenfolge der Wortbausteine aber genau umgekehrt ist (zweiundneunzig). Leo konnte hierbei davon profitieren, dass wir in mehreren Leseübungen auch das Lesen von Zahlwörtern geübt hatten. An diese Übungen schloss sich eine kurze Pause an, in der wahlweise Entspannungs-, Bewegungs- oder Koordinationsübungen durchgeführt wurden.

In den verbleibenden etwa fünfzehn Minuten lag der Fokus dann in den Bereichen Rechnen und Orientierung. Die Arbeit am Rechnen erfolgte zunächst mit dem Aufbau von Handlungsvorstellungen. Die Arbeit mit Mehrsystemmaterial, Abbildungen und sprachlichen Reflexionen unterstützte die Vorstellungsentwicklung und zog sich über einen längeren Therapiezeitraum hindurch. Im Bereich Orientierung führte Leo verschiedene Übungen durch, um an sich selbst und bei anderen Personen rechts und links unterscheiden zu können.

Beratung der Eltern und Nutzung von Ferienzeiten

Am Ende der Stunde wurden die Eltern in einem kurzen Gespräch über die Inhalte der Stunde und häusliche Übungen informiert. Leo erhielt jeweils eine häusliche Übung im Bereich Lesen und Mathematik. Dadurch konnten vertraute Übungen kontinuierlich fortgesetzt werden. In zwei farblich unterschiedlichen Ordnern heftete er seine Unterlagen für den jeweiligen Fachbereich ab.

In den Ferien kam Leo zu einer Intensivtherapie. Hier arbeiteten wir eine Woche lang täglich in Doppelstunden: eine Stunde im Fachbereich Deutsch, eine Stunde im Fachbereich Mathematik. Durch die längere Zeitspanne für beide Fachbereiche konnten wir im Fachbereich Deutsch dann auch schon erste Übungen zum Schreiben durchführen.

Lerntherapie in zwei Fächern – so kann es gelingen

Bei Kindern mit kombinierten Lernschwierigkeiten in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen lassen es die äußeren Umstände nicht immer zu, beide Fachbereiche parallel in zwei wöchentlichen Therapiestunden zu bearbeiten oder einen Fachbereich zuerst zu behandeln. Durch eine transparente Stundenplanung und klare Rituale kann es gelingen, innerhalb einer Therapiestunde sowohl die Schwierigkeiten im Fachbereich Deutsch als auch diejenigen im Fachbereich Mathematik anzugehen – dadurch Lernerfolge im Lesen, Schreiben und Rechnen zu ermöglichen und für eine psychische und soziale Entlastung zu sorgen.