Leon schreibt eine Postkarte aus den Sommerferien: In diesem Jahr gibt es an der Nordsee viel Regen und Wind. Gestern sind sie sogar in einen richtigen Sturm geraten. Beim Schreiben des Wortes „Wind“ hält er kurz inne und fragt: „Mama, wird Wind mit t geschrieben?“ Leons Mutter erklärt kurz die Schreibweise von „Wind“ mit d und muss dann schmunzeln, als sie die Postkarte zum Unterschreiben erhält und die Schreibweise liest: „Winnd“.
Erproben von Schreibweisen beim Rechtschreiblernen
Das Rechtschreiblernen ist ein komplexer Vorgang, bei dem die Lernenden Schritt für Schritt wichtige Einsichten in die Struktur und den Aufbau der deutschen Schriftsprache gewinnen. Das Lernen wird dabei als eigenaktiver, konstruktiver Prozess verstanden, bei dem die Kinder ihr Wissen aktiv aufbauen, indem sie neue Informationen mit bereits vorhandenen Kenntnissen verknüpfen.
Dieses Prinzip lässt sich bereits beim kindlichen Spracherwerb für die mündliche Sprache beobachten, wenn Kinder im Kleinkindalter sprachliche Strukturen erproben und dabei z. B. grammatische Strukturen übergeneralisieren (Beispiel: „Der Hund ist weggelauft.“). Ähnlich verläuft auch der Erwerb der deutschen Schriftsprache, bei dem Kinder schon früh erkennen, dass das grundlegende Prinzip unserer Schrift, die lautgetreue Verschriftung, nicht ausreicht, um Wörter normgerecht zu schreiben: So wird beispielsweise ein Wort wie „Wind“ nicht mit „t“ geschrieben, obwohl dies der Aussprache im Deutschen entspricht. In einem Wort wie „(er) gewinnt“ wird wiederum das „n“ verdoppelt, obwohl man den doppelten Buchstaben beim Sprechen nicht hören kann. Im Verlauf dieses komplexen Lernprozesses des Rechtschreiberwerbs entstehen sogenannte Übergeneralisierungen, bei denen bereits erkannte Rechtschreibmuster auf Wörter übertragen werden, auf die diese Schreibweise nicht zutrifft – wie im obigen Beispiel bei „Winnd“.
Einsichten in die Struktur und den Aufbau unserer Schrift
Wie beim mündlichen Spracherwerb entwickeln Kinder beim Rechtschreiblernen also Vermutungen darüber, nach welchen Regeln die Wörter korrekt gebildet werden, und testen diese aktiv aus. Dadurch entstehen beim Schreiben manchmal orthografische Fehler, von denen einige sogar als besonders lernförderlich angesehen werden: Studien zur Rechtschreibentwicklung zeigen, dass in der Schuleingangsphase auftretende lautgetreue Verschriftungen wie z. B. „Wint“ oder das falsche Hinzufügen von orthografischen Elementen wie bei „Winnd“ als Indiz für langfristig gute Rechtschreibleistungen gelten (Brinkmann & Brügelmann, 2019, 6; Hüttis-Graff & Wirszing, 2018, 67).
Um zu lernen, dass im gesprochenen Wort gleichklingende Einheiten wie beispielsweise „int“ in den Wörtern „Winter“, „Wind“ oder „er gewinnt“ jeweils auf unterschiedliche Art und Weise verschriftet werden, müssen die Kinder zu einer gedanklichen Klarheit in Bezug auf die Funktion und den Aufbau des deutschen Schriftsystems gelangen („kognitive Klarheit“, vgl. z. B. Valtin & Sasse, 2018, 12/13).
Grundlegend ist dabei unter anderem zunächst die Einsicht in das alphabetische Prinzip unserer Schrift, das durch die Laut-Buchstaben-Zuordnungen bestimmt wird. Nach diesem Prinzip kann zwar ein Großteil der Wörter im Deutschen korrekt verschriftet werden (z. B. „Löwe“, „Biene“ oder „lachen“). Jedoch gibt es im Deutschen keine 1:1-Zuordnung von Buchstaben (Graphemen) zu Lauten (Phonemen), sodass die Lernenden im weiteren Verlauf des Schriftspracherwerbs zu der Einsicht gelangen müssen, dass derselbe Laut teilweise durch unterschiedliche Buchstaben oder Buchstabenverbindungen verschriftet wird (z. B. der Laut „n“ durch die Grapheme n und nn , der Laut „t“ durch t und d ). Weitere Kenntnisse zur konstanten Schreibung von Wortstämmen und zu grammatischen Prinzipien kommen im Laufe des Rechtschreiberwerbs hinzu.
Rechtschreibfehler geben Hinweise zum Lernprozess
Spontane Verschriftungen – wie z. B. beim Schreiben einer Postkarte – aber auch das gemeinsame Sprechen über die Schreibung von Wörtern („Woher weißt du, dass Wind großgeschrieben wird?“) geben wichtige Hinweise auf die bereits erworbenen Kenntnisse beim Rechtschreiblernen.
Die präzise Analyse von Fehlschreibungen ermöglicht einen genauen Blick auf den Entwicklungsstand des Kindes.
Wenn ein Kind z. B. „Wint“ statt „Wind“ schreibt, zeigt es damit, dass es das Prinzip der lautgetreuen Verschriftung bereits verstanden hat. Jedoch hat es aber das Prinzip der Morphemkonstanz, das besagt, dass Wortstämme unabhängig von ihrer Aussprache immer gleich geschrieben werden (windig, Winde, Wind …), noch nicht umgesetzt. Treten hingegen noch Auslassungen beim Schreiben (z. B. „Wt“ für Wind) auf, ist auch die grundlegende Strategie der Rechtschreibung, das lautgetreue Schreiben, noch nicht vollständig erworben. Es liegen aber erste Einsichten zu den Buchstaben-Laut-Beziehungen vor.
Für ein erfolgreiches Rechtschreiblernen gilt jedoch die Aneignung der grundlegenden Strategie zur vollständigen Verschriftung aller lautsprachlich wahrnehmbaren Einheiten durch ihre korrespondierenden Buchstaben (z. B. in Haus, Tisch, aber auch „Wint“ für Wind oder „Rola“ für Roller) als wichtige Voraussetzung für das spätere orthografisch korrekte Schreiben (Brinkmann & Brügelmann, 2019, 6; Hüttis-Graff & Wirszing, 2018, 71).
Gelingt es Kindern am Ende des 2. Schuljahres noch nicht, Wörter lautgetreu vollständig zu verschriften, liegen Hinweise für das Vorliegen von besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen der Rechtschreibung vor (Scheerer-Neumann, 2023, 128). Im Rahmen der Rechtschreibförderung nimmt daher die Lernbeobachtung – z. B.: Was kann das Kind schon? Was muss es noch lernen? Was kann es als Nächstes lernen? (Dehn, 2020, 156) – und eine detaillierte Analyse von Fehlern – z. B.: Welche Laut-Buchstaben-Beziehungen sind bekannt, welche noch unbekannt? (Scheerer-Neumann, 2023, S. 128) – einen wichtigen Stellenwert ein, um die Inhalte der Förderung genau auszuwählen.
Fazit
Fehler sind Ausdruck eines konstruktiven Lernprozesses und gehören zum Rechtschreiberwerb dazu. Sie zeigen, welche grundlegenden Prinzipien der Rechtschreibung die Kinder schon erkannt haben und welche noch nicht. Sie geben damit wertvolle Einblicke in den Entwicklungsstand. Eine genaue Analyse der Rechtschreibfehler und das gemeinsame Sprechen und Reflektieren über die Schreibweisen von Wörtern sind daher ein wichtiger Bestandteil der Förderung in Schule und Lerntherapie.
Literatur:
Brinkmann, Erika & Brügelmann, Hans (2019). Empirische Studien zum Umgang mit Rechtschreibfehlern und die Bedeutung konkreter Befunde für den Rechtschreibunterricht. Frankfurt am Main: DIPF – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation.
Dehn, Mechthild (2020). Zeit für die Schrift – Lesen und Schreiben im Anfangsunterricht. Mit Beiträgen von Petra Hüttis-Graff. 4. Auflage. Berlin: Cornelsen.
Hüttis-Graff, Petra & Wirszing, Daniel (2018). Anfänge des Rechtschreiblernens 1994 und 2014 – Ergebnisse einer diachronen Longitudinalstudie in Hamburg. Didaktik Deutsch, 45, 50–73.
Scheerer-Neumann, Gerheid (2023). Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie. Grundlagen, Diagnostik und Förderung. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.
Valtin, Renate & Sasse, Ada (2018). Angemessen fördern – mithilfe des Stufenmodells. Grundschule, 6, 12–15.
Zur Autorin:

Dr. Astrid Schröder ist Leiterin der Abteilung Forschung, Entwicklung und Weiterbildung.