Lese-Rechtschreib-Schwäche

„Frau Neuhaus, wozu brauchen wir die Rechtschreibung?“

Vier Fragen an Dr. Laura Neuhaus, Leiterin der Dudenredaktion

Frau Dr. Neuhaus, bei den Duden Instituten für Lerntherapie steht in jedem Therapieraum ein Grundschulwörterbuch und ein Rechtschreibduden. Ich habe Ihnen einige Fragen mitgebracht, die Kinder und Jugendliche besonders interessieren. Die wichtigste zuerst: Wozu brauchen wir eigentlich die Rechtschreibung?

Rechtschreibung hilft dabei, sich leichter zu verstehen. Eine einheitliche Schreibung macht es den Lesenden viel einfacher, das Geschriebene zu entschlüsseln. Bei einem „dass“ weiß ich direkt, dass jetzt ein untergeordneter Nebensatz folgt, bei „denn“ folgt eine Begründung. Wenn da stattdessen „das“ und „den“ stünde oder sogar „daaß“ und „dehn“, hätte ich beim Lesen viel mehr zu grübeln, was konkret gemeint sein könnte. Richtig schreiben zu können bedeutet also auch, besser verstanden zu werden.

Beim Nachschlagen von Wörtern fällt auf, dass es teilweise mehrere Schreibweisen für ein Wort (z. B. Soße und Sauce) gibt. Warum ist das so und welche ist dann „richtig“?

Schreibvarianten zeigen wunderbar, dass mehr als eine Lösung richtig sein kann. Oft ist eine verbreitete Variante näher an der Ursprungssprache (bei „Sauce“ und „Piks“ dem Französischen) und eine andere Variante schon stärker in das deutsche Schreibsystem integriert („Soße“ und seit 2024 die Dudenempfehlung: „Pieks“). Bei bestimmten Partizipien aus dem Englischen ist seit 2024 auch die Endung „-ed“ möglich („du hast gelikt“ oder „geliked“; aber nur „der gelikte Post“).

Für alle, die sich nicht selbst zwischen den üblichen Schreibvarianten entscheiden möchten, empfehlen wir bei Duden eine Variante, etwa wenn sie häufiger ist oder typischer ins restliche System passt, um damit die Auswahl zu erleichtern.

Verändern sich die Einträge im Duden durch die Sprache in sozialen Medien? Kommen eigentlich auch Jugendwörter wie „Digga“ oder „cringe“ in den Duden?

Bei all unseren Wörterbüchern, sei es beispielsweise der Rechtschreibduden, die Schulduden, die Grundschulwörterbücher oder die Duden-App, ist die gemeinsame empirische Grundlage das Dudenkorpus. Das ist eine große Menge digital durchsuchbarer Texte, die kontinuierlich um aktuelle Quellen erweitert wird. Neben journalistischen und literarischen Texten sind dort auch Online-Foren enthalten, in denen wir auch jüngere Sprache finden. Wörter, die über eine längere Zeit in verschiedenen Quellen auftauchen, sind Aufnahmekandidaten.

Bei jedem neuen Wort bewertet die Dudenredaktion, für welches Wörterbuch es geeignet ist. Das Wort „cringe“ ist inzwischen verbreitet, es ist rechtschreiblich schwierig und seine Bedeutung ist erklärungsbedürftig. Deshalb hat es „cringe“ schon in den Rechtschreibduden, den Schulduden Rechtschreibung und in die Duden-App geschafft. In komprimiertere Werke – wie das Grundschulwörterbuch oder das Bedeutungswörterbuch – passt es (noch) nicht. „Digga“ ist gerade auf dem Weg in die Duden-App, und ich bin selbst gespannt, welche Karriere dieses Wort noch vor sich hat. Das ist das Schönste an der Arbeit in der Dudenredaktion: Die sprachliche Entwicklung geht immer weiter.

Der Duden ist jetzt 145 Jahre alt. Glauben Sie, dass es in 145 Jahren noch einen Duden gibt, oder erledigt das Schreiben dann eine künstliche Intelligenz für uns?

Den Duden muss es auch in 145 Jahren noch geben. Denn Schreibkompetenz und Lesekompetenz brauchen die kommenden Generationen von Lernenden auch dann noch, wenn sie Tools an ihrer Seite haben, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Davon bin ich überzeugt. Die Aufgabe von Duden, mit Fachexpertise Orientierung zu geben in Sprachfragen, hat sich seit dem ersten Duden von 1880 schon enorm gewandelt, und sie wird es auch künftig tun. KI-Unterstützung ist beispielsweise längst in die Duden-Textprüfung integriert, die Duden-App bietet eine schnelle Orientierung ohne langwieriges Blättern. Was bei all dem Wandel und der technologischen Transformation gleich bleibt, ist die Aufgabe, das Duden-Sprachwissen so zu vermitteln, dass es den Lernenden hilft und nützt.

Frau Dr. Neuhaus, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Dr. Laura Neuhaus ist Leiterin der Dudenredaktion im Dudenverlag.