Lese-Rechtschreib-Schwäche

Leseschwierigkeiten überwinden oder: Warum ist das Lesenlernen so schwer?

Für die meisten Erwachsenen ist Lesen eine automatisierte Fähigkeit. Warum ist das Lesenlernen für einige so schwer?

Dr. Astrid Schröder, Leiterin des Fachbereichs Deutsch der Duden Institute für Lerntherapie

Gut ausgebildete Lesekompetenzen fördern die Fähigkeit, Texte für die Erweiterung des eigenen Wissens zu nutzen. Für die meisten Erwachsenen ist Lesen eine automatisierte Fähigkeit, die ohne große Mühen ausgeführt wird. Nicht zuletzt deshalb ist es so schwierig, nachzuvollziehen: Warum ist das Lesenlernen eigentlich so schwer?

Beim Erlernen des Lesens lernen Kinder, abstrakten Zeichen (den Buchstaben) die Laute der Sprache zuzuordnen. Um nachzuvollziehen, wie mühsam dieser Prozess sein kann, lässt sich folgendes Gedankenexperiment durchführen: Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten sich für das Lesen ein neues Schriftsystem einprägen, also z. B. das griechische Alphabet. Es würde sicher eine Weile dauern, bis sie sich merken könnten, wie die einzelnen Buchstaben „klingen“. Das Lesen wäre anfangs noch sehr langsam. Durch häufiges Lesen würde der Leseprozess dann flüssiger werden, bis Sie viele Wörter nicht mehr über die Aussprache begreifen müssten, sondern das Wort „auf einen Blick“ erkennen könnten. Dieses schnelle und sichere Erfassen der korrekten Bedeutung ist die Voraussetzung für das sinnerfassende Lesen von Wörtern, Sätzen und Texten.

Leseflüssigkeit als Voraussetzung für das Textverstehen

Schülerinnen und Schüler mit Leseschwierigkeiten haben gegen Ende der Grundschulzeit häufig noch Probleme, einen Text flüssig zu lesen. Das Lesen erfolgt dann langsam und stockend und mit wenig oder fehlerhafter Betonung. Aber: Solange ich mich beim Lesen von Wort zu Wort „vorarbeite“, kann ich den Zusammenhang eines Satzes oft nicht verstehen und die Bedeutung eines Textes nicht vollständig erfassen. Das Verstehen von Texten ist dann deutlich erschwert.

Förderung der Leseflüssigkeit

Zur Förderung der Leseflüssigkeit haben sich u. a. Lautleseverfahren bewährt: Kurze Textabschnitte werden (halb-)laut mehrmals vorgelesen. Durch das wiederholende Lautlesen werden häufige Wörter in den Sichtwortschatz übernommen und das Lesen kann dann zunehmend automatisiert erfolgen. Das laute Lesen erfordert außerdem mehr Lesegenauigkeit als das stille Lesen: Fehler werden schneller bemerkt und korrigiert.

Während der Förderung werden häufig verschiedene Lautlesemethoden angewendet oder miteinander kombiniert: Beim begleiteten Lautlesen üben die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit einem Lesepartner (z. B. ein anderer Schüler, Eltern oder Großeltern, ein Lesepate, eine Lerntherapeutin). Das Lesen kann dabei abwechselnd oder auch im Lese-Tandem erfolgen: Je ein stärkerer Leser und ein schwächerer Leser bilden ein Team. Nach einem Startsignal lesen beide zusammen einen Text laut vor. Dabei nimmt der Lesepartner Rücksicht und passt sich mit dem Lesetempo dem schwächeren Leser an. Bei Fehlern wird der Lesefluss unterbrochen und der Fehler wird korrigiert. Danach beginnen beide den Satz noch einmal neu im Chor zu lesen. Möglich ist auch ein Wechseln der Methoden: Durch ein verabredetes Zeichen beginnt z. B. der schwächere Leser laut vorzulesen und der Lesepartner liest leise mit. Nach einer Weile nehmen beide das gemeinsame Lautlesen wieder auf.

Anwendung von Lesestrategien

Geübte Leser überwachen ihren Leseprozess meist durch das Anwenden von Lesestrategien (z. B. durch Innehalten an schwierigen Stellen und das Abgleichen des Textes mit schon gelesenen Abschnitten). Leseschwache Schülerinnen und Schüler nutzen dabei meist weniger Lesestrategien als kompetente Leser, d. h., sie haben ein geringeres Repertoire an Techniken zur Verfügung, um sich die Bedeutung eines Textes zu erschließen.

In der Lerntherapie fördern wir das Leseverstehen gezielt durch das Anwenden von Lesestrategien: Indem die Lernenden z. B. unbekannte Wörter klären, Fragen zum Text formulieren oder einzelne Textabschnitte zusammenfassen, können sie den Leseprozess aktiv regulieren und korrigieren. Durch die wiederholte Anwendung werden die Lesestrategien mit der Zeit dann zunehmend verinnerlicht und automatisiert.

Fazit

Vom mühsamen Buchstabieren einzelner Wörter bis hin zum Lesen umfangreicher Texte ist es ein langer Weg, den Kinder mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen. Mit Methoden u. a. zur Förderung der Lesegenauigkeit und der Leseflüssigkeit sowie des sinnentnehmenden Lesens können Schwierigkeiten beim Lesenlernen überwunden werden. Die Praxis zeigt: Gemeinsames Lautlesen motiviert, weil sich bald Erfolge einstellen – häufige Wörter werden zunehmend automatisch erkannt, und mit verbesserter Lesetechnik macht das Lesen richtig Spaß, weil die Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Textes gerichtet werden kann. Lesestrategien fördern die Sicherheit im eigenständigen Umgang mit Texten und ermöglichen die Entfaltung der Lesekompetenz als grundlegende Voraussetzung für erfolgreiches Lernen.

Literatur

Gemeinsam fit im Lesen. Lautlese-Tandem im Schulunterricht. Broschüre der Initiative BISS- Bildung durch Sprache und Schrift (2017).

Rosebrock, C. & Nix, D. (2014). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 7. überarbeitete und erweiterte Auflage.