Bedeutet eine LRS in Deutsch gleichzeitig eine LRS in Englisch? - Seite 2

Ein Kind weist keine schriftsprachlichen Schwierigkeiten in Deutsch auf, in Englisch sind die Probleme jedoch erheblich.

Dieses Kind hat möglicherweise in den ersten Schuljahren effektive Kompensationsstrategien entwickelt, mit denen es die Anforderungen des Deutschunterrichts angemessen bewältigen kann. Dabei handelt es sich häufig um eigenentwickelte Strategien wie das Verwenden immer wiederkehrender Wörter beim freien Schreiben oder das Auswendiglernen von Wörtern oder Sätzen. Der Eintritt in die englische Rechtschreibung, bei der die Kompensationsstrategien nicht mehr oder nur unzureichend helfen, kann dann zu erkennbaren Auffälligkeiten führen. Nicht selten behelfen sich die Kinder mit bekannten Regeln des Deutschen, was zu den typischen „verdeutschten“ Schreibweisen führt, z. B. Ei häf not Brasers (statt: I don’t have any brothers or sisters).

Im umgekehrten Fall zeigt ein Kind keine Schwierigkeiten in Englisch trotz einer LRS in Deutsch.

Dies kann mehrere Gründe haben: Zum Beispiel hat zwischenzeitlich eine Lerntherapie im Deutschen stattgefunden. Wurden dabei die sprachlichen Kernkompetenzen sowie weitere grundlegende schriftsprachliche Fähigkeiten mit dem Kind aufgebaut und gefestigt, kann sich diese Stabilisierung positiv auf den Fremdspracherwerb auswirken.
Auch ist es möglich, dass der Anfangsunterricht Deutsch unter einem „schlechten Stern“ stand: Es gab z. B. häufige Lehrerwechsel, Unterrichtsausfälle, die Lernmethoden waren ungünstig für das Kind oder/und emotionale Probleme lagen vor. Diese ungünstigen Bedingungen sind dann beim späteren Englischunterricht nicht mehr vorhanden. Es besteht ein gutes Verhältnis zum Englischlehrer, der Unterricht findet regelmäßig statt und weist eine methodische Vielfalt auf, bei der auch sprachsystematische Aspekte (z. B. die phonologische Bewusstheit) einbezogen werden.

Einen angstfreien Start in die Fremdsprache ermöglichen


Es gilt als erwiesen, dass sich sprachliche Grundlagenfähigkeiten auf die Lese- und Schreibentwicklung sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache auswirken. Es hat sich aber auch gezeigt, dass gute Rahmenbedingungen im schulischen und außerschulischen Bereich den Lernprozess eines Kindes positiv beeinflussen und Stärken hervorbringen können. Daher sollte eine vorhandene LRS nicht als zwingendes Vorzeichen für Probleme im Erwerb des Englischen betrachtet werden. Vielmehr sollten Kinder angstfrei und ungezwungen an die Erforschung einer neuen Sprache herangehen und sich darauf freuen können. Zeigen sich dann Schwierigkeiten, sollte eine individuelle Unterstützung, z. B. im Rahmen einer Lerntherapie, in Betracht gezogen werden. So können Stagnation und Frust rechtzeitig verhindert werden.


Literaturangabe:
Landerl, Karin (1996). Legasthenie in Deutsch und Englisch. Frankfurt: Verlag Peter Lang.