Lernen zu Hause

Wie kann Homeschooling in Grundschulen gestaltet werden?

Jana Köppen und Dr. Astrid Schröder sprechen mit Grundschullehrerin und Lerntherapeutin Nurlana Müller über die Unterrichtsgestaltung verschiedener Klassenstufen im Homeschooling.

Jana Köppen und Dr. Astrid Schröder, Leiterinnen von den Fachbereichen Mathematik und Deutsch

Zu Beginn der Corona-Pandemie mussten Sie Ihren Unterricht in der Grundschule quasi von heute auf morgen in das Homeschooling verlegen.

Ja, es war wirklich ein bisschen wie ein Sprung ins kalte Wasser: Die meisten Kolleginnen und Kollegen hatten zuvor noch nie Online-Unterricht gegeben. Unsere Schule reagierte sehr schnell: Alle haben einen Account für einen Videodienst und einen speziellen Online-Stundenplan bekommen. Den Online-Unterricht gab es für die Klassen 4‒6 in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch, Naturwissenschaften, Sport und sogar in Musik und Kunst. Im Sportunterricht wurden beispielsweise Yogaübungen über Video angeleitet.

Gab es Unterschiede zwischen den einzelnen Klassenstufen?

Die Klassen 1‒3 empfanden wir als zu jung für den ausschließlichen Online-Unterricht. Mit meiner 1. Klasse habe ich mit Wochenplänen gearbeitet: Jedes Kind hat von mir sonntags einen individuellen Wochenplan per E-Mail zugesendet bekommen, in dem die Arbeitsmaterialien und die Aufgaben für die Woche eingetragen waren.

Wie sind Sie dabei für Ihre Klassen vorgegangen?

Im Fach Deutsch wurde in meiner 4. Klasse so gearbeitet: Wir hatten im März gerade mit der Lektüre von „Emil und die Detektive“ angefangen. Die Kinder haben dann zu Hause weitergelesen, nach jedem gelesenen Kapitel eine Zusammenfassung geschrieben und mir diese zugeschickt. Das gelang den Kindern natürlich unterschiedlich gut, je nach Entwicklungsstand. Mit einem Jungen wählte ich auch einen anderen Buchtitel aus, um ihn zu ermutigen. Jedenfalls korrigierte ich die Einsendungen und sandte sie an die Kinder zurück. Nach und nach entstand mit den Zusammenfassungen ein Lesetagebuch. Durch diese Arbeit gelangt es mir, den Lernstand der Kinder in den Bereichen freies Schreiben, Rechtschreibung, Grammatik und Leseverstehen einzuschätzen.

Digitales Korrekturlesen von Kapitelzusammenfassungen

Inwiefern unterschied sich Arbeit zwischen jüngeren und älteren Kindern?

In der 1. Klasse hatten wir gerade frisch das Lesen gelernt. Hier war es für mich besonders wichtig, die Kinder weiter zum Lesen zu motivieren. Außer Leseaufgaben in den Arbeitsmaterialien gab es noch Lesespiele und kleine, lustige Leseaufträge. Mit Video- oder Tonaufnahmen dokumentierten die Familien die Leseübungen ihrer Kinder und schickten sie an mich. Das hat die Kinder sehr motiviert. Die Eltern waren bei den Leseübungen eine wichtige Unterstützung. Für die Arbeit bekamen die Kinder einen Stempel in den Lesepass und ich gab regelmäßig eine Rückmeldung zum Stand in ihrem Lesepass. Im Videochat gab es dann einmal wöchentlich ein „Minuten-Lesefrühstück“. Die Kinder trugen mir ihre individuellen Leseübungen vor und bei Bedarf las ich im Tandem mit.

Wie haben Sie individuelle Lernstände und Schwierigkeiten beim Lesenlernen auffangen können?

Kinder mit besonderen Schwierigkeiten lasen mit mir oder dem Klassenpädagogen einmal wöchentlich einzeln oder in kleinen Gruppen mit drei bis vier Kindern per Videogespräch. Das war besonders für zwei Mädchen aus meiner Klasse wichtig, die sehr geringe Deutschkenntnisse hatten und viel Unterstützung bei der richtigen Aussprache der Laute und Wörter brauchten.

Wie haben Sie Kontakt zu den Kindern halten können?

Wir haben wöchentlich eine „Klassenstunde“ online durchgeführt, damit wir uns sehen und uns austauschen konnten. Auch für die Motivierung zur Bearbeitung der Wochenpläne war das ganz wichtig. Von diesen Stunden waren nicht nur die Kinder begeistert. Das waren bewegende Momente, als wir z. B. Lesespiele gespielt, den Geburtstag von einer Schülerin online gefeiert haben oder die Haustiere kennenlernen durften. Hier wurden auch neue Themen eingeführt und/oder kurze Lernvideos gezeigt. Manche Lehrkräfte drehten diese selbst. Außerdem konnten die Kinder mich anrufen, was auch mehrmals geschah. Sie schickten mir zudem Videobotschaften und selbst gemalte Bilder.

Konnten Sie auch den Eltern Rückmeldungen zu den Arbeitsergebnissen geben?

Die Kommunikation zwischen den Eltern und mir fand per E-Mail oder Messangerdienste statt. Freitagabend schickten mir die Eltern z. B. abfotografierte Seiten mit den erledigten Aufgaben und ich gab dann Rückmeldung dazu. Außerdem war ich telefonisch für die Eltern erreichbar.

Kommunikation zwischen Eltern und Lehrer/-innen in Corona-Zeiten

Sie haben uns berichtet, dass Sie sogar online in den Klassenraum geschaltet wurden?

Ja, richtig. Als die Schule im Mai wieder öffnete, habe ich für zwei Wochen meine Klasse von zu Hause aus unterrichtet. Im Klassenraum war mein Bild groß über der Tafel vorne zu sehen und ich hatte über meinen Computer zu Hause jedes Kind im Blick. Ohne meinen Kollegen, der als Klassenpädagoge mit mir zusammenarbeitet, wäre das natürlich nicht möglich gewesen. Er war für die Technik verantwortlich und unterstützte die Kinder im Klassenraum. Ich hatte zu Hause die Wochenpläne der Kinder vor mir und wusste, welches Kind in welchen Materialien bei welcher Aufgabe ist, und konnte so die Kinder virtuell begleiten. Natürlich musste ich auch schon mal sagen „nicht kippeln, nicht quatschen, bitte arbeite weiter“. Wir hatten viel Freude dabei und spielten auch schon mal gemeinsam Bewegungsspiele zwischendurch.

Im Moment gibt es wieder einen starken Anstieg der Corona-Fallzahlen in Deutschland. Wenn Sie wieder in den Fernunterricht wechseln müssten, worauf würden Sie besonderen Wert legen?

Ich würde unbedingt mit individuellen Wochenplänen arbeiten. Das ist viel Arbeit, aber es hat sich bewährt. Die individuelle Betreuung gibt den Kindern und den Eltern das Gefühl, mit den schulischen Problemen nicht alleine zu sein. Dabei darf ich die Rolle der Eltern natürlich nicht unterschätzen. Ohne ihren Einsatz wäre das Ganze gar nicht möglich gewesen. Da waren die Bedingungen an meiner Schule sehr günstig. Von Bedeutung ist auch das Team, mit dem man arbeitet. Wir hatten einmal wöchentlich eine Online-Besprechung, in der wir uns intensiv austauschten und gemeinsam Lösungen für auftretende Probleme suchten. Zu diesem Team gehörten auch die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Erzieherinnen und Erzieher. Sie boten in allen Klassenstufen ihre Hilfestellung bei den Hausaufgaben, beim Lesen und auch bei technischen Problemen an.

Und Ihr persönliches Fazit?

Ich wünsche uns allen, dass die Pandemie bald vorbei ist. Die Erfahrungen, die wir beim Homeschooling gesammelt haben, kann man auch in den „gesunden“ Zeiten nutzen.