Lernen zu Hause

„Alles, was du schaffst, ist gut!“ ‒ Wie wir mit unseren Erfahrungen aus dem Homeschooling umgehen können

Jana Köppen blickt zurück auf gut ein Jahr Homeschooling. Sie berichtet, welche Erfahrungen Eltern gemacht haben und was Expertinnen und Experten für die Organisation des Lernens zu Hause raten.

In der ersten Phase der Schulschließungen sahen sich Familien, Lehrer und Lehrerinnen, Schulleitungen, Behörden usw. in einer völlig neuen Situation. Wie sollte es gelingen, die Vermittlung schulischen Wissens in die Kinderzimmer zu verlagern? Im zurückliegenden Newsletter haben wir von den Erfahrungen aus Sicht der Schulen und Lehrkräfte berichtet. Hier soll nun der Blick auf die Familien gerichtet werden. Dazu waren in unseren Podcastfolgen 3 und 5 die Schulpsychologen Dr. Monika Rammert und Klaus Seifried zu Wort gekommen. Sie gaben Hinweise und Erläuterungen zur Unterstützung von Kindern in dieser besonderen und schwierigen Situation. Ein halbes Jahr später haben diese Podcast-Episoden nichts an Aktualität eingebüßt – sie sind zum erneuten Hören empfehlenswert.

Bekanntlich liegen aber Theorie und Praxis nicht immer nah beieinander: Welche riesigen Herausforderungen es für die Familien zu meistern gilt, kann gar nicht deutlich genug betont werden. Ich fragte meine Kolleginnen – Lerntherapeutinnen und Mütter –, wie sich die Umsetzung des Homeschoolings bei ihnen gestaltet hat.

Individuelle Lösungen suchen „... immer für individuelle Lösungen sorgen“ war damals eine Empfehlung von Monika Rammert. Ähnliche Worte wurden mir auch jetzt wieder von den Kolleginnen entgegengebracht. Voraussetzungen der Kinder, Vorgehensweisen der Lehrkräfte, Umfang und Gestaltung von Online-Unterricht sowie Aufgabenpensum sind sehr unterschiedlich, sodass verallgemeinernde Hinweise kaum möglich sind. Folgendes Beispiel gibt einen Einblick, wie individuelle Lösungen für die Gestaltung der Lernzeit gefunden werden können.

Das Erproben von günstigen Lernzeiten für ein Kind verlief in einer Familie ungefähr so: Um 9.30 Uhr ging es los, dann jeweils 30 Minuten Mathematik, Deutsch und Englisch, dazwischen Pausen von etwa 10 Minuten. Ein, zwei Wochen später wurde in Absprache mit dem Kind dann die Dauer der Arbeitsphasen auf 45 Minuten erhöht. Die Familie hatte herausgefunden, dass ein Eindenken und ruhiges Arbeiten in den relativ kurzen Phasen von 30 Minuten auf Dauer nicht fruchtete. Im Laufe der Zeit hat sich dann herausgestellt, dass es dem Kind leichter fiel pro Tag nur an einem Fach zu arbeiten. Jetzt ist der Rhythmus so vereinbart, dass ein Tag für Mathematik, ein Tag für Deutsch, ein Tag für Englisch geplant wird. Die Lernzeiten betragen auch jetzt immer 45 Minuten. Dazwischen liegen jeweils Pausen von 10 bis 20 Minuten. Nach einer Stunde Mittagspause gibt es noch einmal 45 Minuten Lernzeit am Nachmittag. Diese Stunde wird jetzt so gestaltet, dass gemeinsam gearbeitet wird: Ein Elternteil lässt sich vom Kind anstehende Aufgaben sagen und bearbeitet sie dann selbst parallel zum Kind. Dabei wird über das Vorgehen gesprochen, gemeinsam im Lehrbuch nachgelesen oder im Internet recherchiert und das Ergebnis verglichen. Dieses Beispiel zeigt, dass es tatsächlich eine Weile dauern kann, bis eine individuelle gute Lösung für die Lernzeiten gefunden wird. Monika Rammert empfiehlt zudem, immer wieder gemeinsam auszuwerten, ob der organisatorische Rahmen zur Familie passt.

Rolle der Eltern An erster Stelle soll betont werden, dass Eltern nicht versuchen sollten, die Lehrerin/ den Lehrer zu ersetzen. In der Schule findet gemeinsames Lernen statt, die Kinder orientieren sich an dem, was in der Gruppe geschieht. Zu Hause allein zu lernen ist sozusagen „unnatürlich“ und die Kinder erfassen intuitiv, dass ein anstehendes Lernthema nicht von den Eltern erklärt werden sollte. Das ist an kritischen Rückmeldungen der Kinder zu spüren: „Nein, so sollen wir das nicht machen ...“

Eltern sind wichtige Unterstützer, indem sie die Arbeitsplätze der Kinder organisieren, ansprechbar für Fragen sind, für ein gesundes Zwischenfrühstück und Bewegungspausen sorgen sowie die „Schulzeit“ begrenzen. Darüber hinaus ist meist eine Menge an organisatorischen Arbeiten und technischem Support zu leisten: Da sind Materialien abzurufen, ggf. auszudrucken, zu sortieren, zu portionieren und schließlich ist der Rücklauf an die Lehrkräfte zu organisieren. Auch fehlt den Kindern häufig das wichtige unmittelbare Feedback der Lehrer/-innen: Das müssen die Eltern dann übernehmen, obgleich sie nicht die richtigen Personen dafür sind.

Meine Kolleginnen erzählen, dass teilweise der Sonntagabend genutzt werden muss, um die Woche zu planen. Eingesetzte Lernplattformen suche man besser zu unkonventionellen Uhrzeiten auf, damit das erfolgreich gelingt. Es gibt viel an Informationen für die Eltern zu lesen und das muss gründlich erfolgen, denn im Lernraum-Chat befinden sich zwischen unzähligen Smileys der Kinder auch wichtige Informationen der Lehrkraft.

Auch für die Planung von Freizeitaktivitäten brauchen Familien gerade viel Kreativität. Wie kann man es schaffen, kleine Highlights zu setzen? Wenn Unternehmungen nur eingeschränkt möglich sind, ist es vielleicht das gemeinsame Würfelspiel oder das gemeinsame Backen, das alle bestärkt und in anderen Situationen als die des Homeschoolings zusammenfinden lässt.

Struktur ist das A und O Der Schulpsychologe Klaus Seifried weist in der Podcastfolge 5 darauf hin, dass den Kindern in dieser ungewöhnlichen Situation leicht die Tagesstruktur verloren gehen kann. Meine Kolleginnen berichten zum Beispiel, dass sie alle Termine in einen Wochenplan schreiben und eine feste Tagesstruktur verabreden, an die sich alle Familienmitglieder halten sollten: Wann stehen wir auf, wann beginnt die Lernzeit, wann ist die Mittagspause, wann haben wir freie Zeit und ab wann wird nicht mehr in die Schulsachen geschaut? Es soll auch einen Unterschied zwischen Arbeitstagen und dem Wochenende geben. Eine Kollegin berichtet: „Es ist in Ordnung am Wochenende um 11 Uhr noch im Schlafanzug zu sein, in der Woche geht das nicht – auch wenn kein Online-Unterricht ansteht.“ Und auch das gilt wieder für alle Familienmitglieder – sofern nicht jemand in einer Nachtschicht gearbeitet hat. Vielen Kindern hilft eine strukturierte Gestaltung des Arbeitsplatzes auch dabei, von der Freizeit wieder auf Lernzeit umzuschalten.

Gelassenheit finden und sich belohnen Meine Kolleginnen berichten, dass sie über die zurückliegenden Monate gelernt haben, auf das zu schauen, was ihre Kinder schaffen. Sie sagen sich und dem Kind: „Alles, was du schaffst, ist gut.“ Es ist nicht selbstverständlich zu erwarten, dass Kinder und Eltern die Aufgaben in dieser Zeit vollkommen reibungslos bewältigen. In sehr schwierigen Situationen sollte man sich auch nicht scheuen, Hilfe bei schulpsychologischen Beratungsstellen, Schulsozialarbeiter/-innen oder Erziehungs- und Familienberatungsstellen zu suchen. ‒ Manchmal hilft es auch schon, sich via Telefon oder Videochat mit Großeltern und Freunden auszutauschen. Sich selbst und die Kinder immer wieder zu loben und zu bestärken und für Anerkennung und Zuspruch zu sorgen, ist Balsam für die eigene Psychohygiene.

Über die Autorin

Jana Köppen leitet den Fachbereich Mathematik bei den Duden Instituten für Lerntherapie