LRS in Englisch

Fremdsprachenlernen mit LRS: Herausforderung Vokabellernen

Sophie Engelen beschreibt, mit welchen Strategien und Herangehensweisen zum Vokabellernen es auch Kindern und Jugendlichen mit einer LRS gelingt, einen umfangreichen Wortschatz in einer Fremdsprache anzueignen.

Sind Schülerinnen und Schüler von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) betroffen, stellt sie nicht nur der Deutschunterricht, sondern meist auch das Fremdsprachenlernen vor besondere Herausforderungen. Mögliche Schwierigkeiten liegen jedoch nicht nur im Bereich der Orthografie, sondern treten auch in der Auseinandersetzung mit der Grammatik, der Aussprache und dem Vokabular einer neuen und fremden Sprache auf. Gerade die Aneignung eines umfangreichen Wortschatzes, die kontinuierlich und parallel zu den Anforderungen der anderen Schulfächer bewältigt werden muss, kann dabei eine besondere Hürde darstellen.

Denn was in Form von Vokabellisten nach einem vermeintlich überschaubaren Lerngegenstand aussieht, erweist sich in der Praxis als eine Fülle unterschiedlicher Ansprüche: Neben der Verknüpfung der jeweiligen Vokabel mit der Wortbedeutung ist nicht nur die orthografisch korrekte Schreibweise zu memorieren, sondern es gehören auch Informationen zur Aussprache und zu grammatischen Bezügen des Wortes (z. B. das Geschlecht bei Substantiven) hinzu. Außerdem ergibt sich durch die Arbeit mit sogenannten Chunks, d. h. häufig gebrauchten Formulierungen z. B. im Deutschen Wie geht’s?, im Französischen Comment ça va? oder im Spanischen ¿Qué tal?, im Schriftlichen eine erhöhte Komplexität – auch wenn die zusammenhängenden Sprachsequenzen gerade im Anfangsunterricht zu einer schnellen mündlichen Sprachverwendung verhelfen können.

Mögliche Strategien, die zur Bewältigung dieser umfassenden Anforderungen beitragen können, liegen im Bereich der zeitlichen Organisation und Strukturierung der Lerninhalte: Beispielsweise bietet es sich an, kürzere Lernintervalle einzulegen, also den Umfang des zu erlernenden Vokabulars in Absprache mit der Lehrkraft zu reduzieren, oder größere Zeitfenster für die Aneignung des Lernstoffs vorzusehen. Ein möglicher Ansatz, der oftmals mit dem Stichwort des Sichtwortschatzes versehen wird, besteht darin, möglichst häufige bzw. besonders relevante Wörter bei der Vokabelarbeit zu fokussieren. Über den Erwerb des Wortschatzes hinaus können so – insbesondere in intransparenten Orthografien wie dem Englischen oder Französischen – Leseprozesse automatisiert und beschleunigt werden.

Eine weitere gängige Methode besteht in der Nutzung eines Karteikartensystems, das bei der Organisation des zu erlernenden Vokabulars und der Etablierung regelmäßiger Wiederholungsrhythmen helfen kann.

Abbildung 1: Gestaltung einer Lernkartei zur Förderung der selbstständigen Vokabelarbeit

Alternativ lassen sich auch Vokabellisten aus dem Lehrwerk vergrößert kopieren, einzelne Vokabeln von den Jugendlichen ausschneiden und auf Karteikarten kleben. Natürlich stehen heute auch digitale Ressourcen wie Phase 6 oder Quizlet zur Verfügung, die überdies einen motivationalen Effekt auf Lernende haben können.

Im Zuge der Arbeit mit Karteikarten können auch weitere kreative Ideen umgesetzt werden, die die Jugendlichen Schritt für Schritt an das zu beherrschende Vokabular heranführen und die Auseinandersetzung mit zahlreichen neuen Wortformen vorentlasten. Ein Memory, das nicht nur mit den fremdsprachlichen Vokabeln und deren deutschen Übersetzungen, sondern auch mit Symbolen arbeitet, kann auf vielfältige Weise für die Vokabelarbeit genutzt werden:

Abbildung 2: Vokabel-Memory

  • Zunächst können die Symbolkarten mit den deutschen Wörtern in Verbindung gebracht werden, um Hypothesen zu den entsprechenden französischen Begriffen aufzustellen.
  • Eine zusammenhängende farbliche Gestaltung der passenden Karteikarten kann als Scaffolding-System, d. h. als Orientierungshilfe bei der Zuordnung dienen.
  • Sind die zugehörigen französischen Begriffe identifiziert, können diese auf dem Tisch zu den entsprechenden Symbolen und deutschen Wörtern gelegt werden.
  • Ausgehend von dieser ersten Zuordnung muss nun der Schritt zum selbstständigen Abruf des Laut- und Schriftbildes und dessen Automatisierung vollzogen werden.

Dabei können Ansätze im Bereich des multisensorischen Arbeitens Anwendung finden, die (nicht nur) von LRS betroffenen Lernenden die Vokabelarbeit erleichtern. Diese beziehen verschiedene Sinne bei der Auseinandersetzung mit der Fremdsprache ein. Um die Arbeit mit den gestalteten Karteikarten kontinuierlich fortzusetzen, kann folgendes Vorgehen habitualisiert werden:

  • Das Lautbild der französischen Vokabel wird zunächst gehört, indem z. B. die Audiofunktion eines Online-Wörterbuchs genutzt wird. Auf der Rückseite der entsprechenden Karteikarte können sich die Lernenden Notizen zur Aussprache machen.
  • Die Schüler/-innen lesen das Wort erst leise und dann laut vor.
  • Die Vokabel wird zugehalten und anschließend aus dem Gedächtnis leise und laut vorgesprochen.
  • Dann wird die Vokabel (mehrfach) abgeschrieben, zugedeckt und noch einmal aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Die notierten Wörter werden dann mit der Karteikarte abgeglichen.

Weitere Möglichkeiten bestehen – je nach Themenfeld – darin, die Karteikarten passenden Gegenständen oder Orten zuzuordnen und so räumlich erfahrbar zu machen. Natürlich sind der Kreativität im Bereich der mimischen und gestischen Gestaltung, dem Rhythmisieren, Tanzen und Mitsingen oder der haptischen Repräsentation (z. B. Nutzung von Filzbuchstaben, mit dem Finger in Vogelsand mitschreiben) keine Grenzen gesetzt.

Auch bei Vokabeltests, d. h. im Bereich der Leistungsüberprüfung, können andere Wege und Kanäle einbezogen werden. So besteht eine gängige Maßnahme des Nachteilsausgleichs bei LRS darin, das Vokabular – anstelle oder in Ergänzung zu einem schriftlichen Vokabeltest – mündlich abzufragen oder eine Zuordnung anstelle einer schriftlichen Abfrage vorzunehmen.

Gerade bei spezifischen Schwierigkeiten in sprachlichen Teilbereichen können Karteikarten zur Bündelung und Systematisierung bestimmter Merkmale genutzt werden. Beispielsweise tragen Aussprachekarten dazu bei, die Laut-Buchstaben-Zuordnungen einer Fremdsprache zu systematisieren und mit eigenen Beispielen aus dem Unterricht zu unterfüttern. Wichtig ist, dass die Lernenden nicht auf die offizielle Lautschrift des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA) zurückgreifen müssen, sondern eigene Notationssysteme entwickeln können.

Abbildung 3: Karteikarte zur Systematisierung der Phonem-Graphem-Relationen

Fazit Mit den oben vorgestellten Strategien und Herangehensweisen zum Vokabellernen kann es gelingen, die jeweiligen Schwierigkeiten, die beim Memorieren der Wörter vorliegen, bestmöglich zu kompensieren. Davon können (nicht nur) von LRS betroffene Schülerinnen und Schülern profitieren. Ein sicherer und ausreichend entwickelter Wortschatz stellt das Fundament für die Anwendung der Fremdsprache in Wort und Schrift dar.

Zum Weiterlesen

  • BRAUN, Cordula (2015): „Französisch lernen mit LRS. Tipps zum Schreibtraining und zum Vokabellernen.“ In: Praxis Fremdsprachenunterricht Französisch 5, 7‒12.
  • GERLACH, David (2019): „Design matters! Lernmaterialien für schwache Lernende gestalten.“ In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 53 (157), 46‒48.
  • LAMBERT, Lisa (2013): „Wortschätze sammeln. Vokabelarbeit in der Unterstufe.“ In: Praxis Fremdsprachenunterricht Basisheft 10 (5), 12‒14.

Über die Autorin

Sophie Engelen lehrt und forscht am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zuvor studierte sie romanische Philologie (Französisch), Germanistik und Sprachlehrforschung an der Ruhr-Universität Bochum und der Université Paris Sorbonne IV und beschäftigte sich bereits im Rahmen ihrer Masterarbeit mit dem Thema Legasthenie im Französischunterricht.