Rechenschwäche

Ärztliche Leitlinie zur „Rechenstörung“

In seinem Beitrag stellt Dr. Huck die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Rechenstörungen vor und geht auf wichtige Fragen zu diesem Dokument ein.

Von Dr. Lorenz Huck, Leiter für Forschung, Entwicklung und Ausbildung der Duden Institute für Lerntherapie

Im März 2018 wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJ) eine neue sogenannte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Rechenstörungen verabschiedet. Hier versuchen wir einige wichtige Fragen zu diesem Dokument zu beantworten.

Wozu gibt es diese Leitlinie?

Die Leitlinien der „Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften e. V.“ (AWMF) sollen Ärzten/Ärztinnen helfen, richtige Entscheidungen bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten und Störungen zu treffen.

Ziel der Leitlinie ist es außerdem, über die Wirksamkeit aktueller Präventions- sowie Fördermethoden aufzuklären. Sie kann als Informationsgrundlage verwendet werden.

Welche Empfehlungen gibt die Leitlinie zur Diagnostik?

Die Leitlinie sieht eine sehr umfassende Diagnostik vor, die Interviews und Befragungen, körperliche Untersuchungen und Testungen beinhaltet. Getestet werden sollen zunächst natürlich die mathematischen Leistungen: Die Diagnose „Rechenstörung“ soll gestellt werden, wenn ein Kind zu den 7% der schlechtesten Rechner gehört. Vergleichsmaßstab sollen dabei die Kinder der gleichen Alters- oder Klassenstufe sein.

Eine wichtige Neuerung: Es soll keine Rolle mehr spielen, ob es einen großen Unterschied zwischen der gemessenen Intelligenz und den mathematischen Leistungen gibt (sogenanntes „Intelligenzdiskrepanzkriterium“). Dadurch können Kinder mit niedrigeren Ergebnissen im Intelligenztest nun leichter die Diagnose einer „Rechenstörung“ erhalten. Das ist wichtig, weil die Diagnose Voraussetzung für eine Hilfe durch die Jugendämter ist.

Getestet werden sollen auch allgemeine kognitive Fähigkeiten, von denen man mittlerweile weiß, dass sie mit einer Rechenstörung in engem Zusammenhang stehen: die visuell-räumlichen Fähigkeiten und die exekutive Aufmerksamkeit (vereinfacht gesagt: die Fähigkeit zur Handlungsplanung).

Welche Empfehlungen gibt die Leitlinie zur Behandlung einer Rechenschwäche?

Auch zur Behandlung gibt die Leitlinie umfassende Empfehlungen. Eltern, die sich entscheiden müssen, wem sie ihr Kind anvertrauen, können u. a. folgende Hinweise helfen.

  • Die Behandlung einer „Rechenstörung“ soll nach einer gründlichen Diagnose geplant werden.
  • Psychische Belastungen des Kindes sollen natürlich berücksichtigt werden, im Schwerpunkt geht es in der Behandlung aber um die Mathematik.
  • Die Behandlung soll in Einzelförderung stattfinden, mit einer Sitzungsdauer von mindestens 45 Minuten.
  • Die Behandlung soll durch Fachkräfte mit pädagogisch-therapeutischer Ausbildung erfolgen.

Was bedeutet die Bezeichnung S3-Leitlinie? Wie kommt eine solche Leitlinie zustande?

Das Kürzel „S3“ steht für ein besonders sorgfältiges Vorgehen bei der Leitlinienerstellung. Die Leitlinie soll auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen („Evidenzorientierung“): Man versucht z. B., möglichst alle veröffentlichten Untersuchungen zum Thema zu erfassen. Sollen Studien nicht berücksichtigt werden, weil ihre Qualität nicht hoch genug ist, müssen dafür Kriterien angegeben werden.

Zudem versucht man, eine breite Zustimmung möglichst vieler Beteiligter zur Leitlinie zu erreichen („Konsensorientierung“): An der Leitlinie zur Rechenstörung arbeiteten nicht nur ärztliche Fachgesellschaften mit, sondern auch Vertreter/-innen aus der Erziehungswissenschaft, der Psychologie, der Fachdidaktik, der Lerntherapie u. v. a. Bereichen.

Wo kann man die Leitlinie finden?

Die Leitlinie ist auf der Seite der AWMF abrufbar.

Dr. Lorenz Huck

Mit seinem Team arbeitet Dr. Huck an der Weiterentwicklung der Lerntherapie an den Duden Instituten, der inhaltlichen Gestaltung von Aus- und Fortbildung sowie an verschiedenen Forschungsprojekten. Er ist gemeinsam mit Dr. Andrea Schulz Herausgeber des Handbuchs „Lerntherapie und inklusive Schule“.