Bedeutet eine LRS in Deutsch gleichzeitig eine LRS in Englisch?

von Ina Reckling, wissenschaftliche Leiterin des Duden Instituts für Lerntherapie Berlin-Treptow

In unserem therapeutischen Alltag begegnet uns immer häufiger die Frage, ob bei einem Kind, das erhebliche Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Schreibens in seiner Muttersprache Deutsch hat, gleiche Probleme im späteren Erlernen der Fremdsprache Englisch „vorprogrammiert“ sind.

Unbestritten ist: Viele Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), die eine integrative Lerntherapie in unseren Instituten besuchen, klagen früher oder später über Probleme im Englischunterricht. Auf der verbal kommunikativen Ebene, auf welcher der Englischunterricht meist beginnt, fallen zunächst keine besonderen Schwierigkeiten auf. Kommt jedoch die Schriftsprache hinzu, gibt es nicht selten eine deutliche Diskrepanz zwischen mündlichen und schriftlichen Fähigkeiten. Als Folge kommt es zu Frust und Motivationsabfall. Die anfängliche Freude am Englischlernen versiegt und wird durch Misserfolge und schlechte Noten ersetzt.

Jede/Jeder lernt nach seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten

Um sich jedoch der Frage einer „Vorprogrammierung“ anzunehmen, ist es sinnvoll, vorhandene Fähigkeiten sowie erlernbare Fertigkeiten eines Kindes zu betrachten. Schon in der frühen Entwicklung fällt es Eltern auf, wenn ihr Kind noch nicht spricht, das gleichaltrige Nachbarskind aber schon. Dafür kann es aber vielleicht schon laufen, wenn andere Gleichaltrige noch krabbelnd die Welt entdecken.

Gleiches vollzieht sich dann mit dem Eintritt in die Schule. Hier spielen internale Voraussetzungen ebenso eine Rolle wie Einflüsse aus dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Für den Schriftspracherwerb benötigt ein Kind sprachliche Kernkompetenzen. Sind diese geringer entwickelt, wird es das Kind mit höherer Wahrscheinlichkeit beim Erlernen des Lesens und/oder Schreibens schwerer haben als andere Kinder. Ein Beispiel sei mit der phonologischen Bewusstheit genannt: Wie gut kann ein Kind Wörter in Laute zerlegen bzw. Laute zu Wörtern zusammensetzen? Weiß ein Kind, dass das Wort „Ameise“ länger klingt als das Wort „Tiger“?

Untersuchungen (u. a. Landerl, 1996) haben gezeigt, dass gering ausgebildete sprachliche Kernkompetenzen auch im Erwerb der Fremdsprache zu Problemen führen können. Anderen Sprachen unterliegen andere phonologische und orthografische Prinzipien, fordern aber dennoch ähnliche Kernkompetenzen. Daraus lässt sich erklären, dass tatsächlich viele LRS-Kinder sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und/oder Schreibens aufweisen. Dennoch findet man immer wieder Kinder, die nur in einer Sprache erhebliche Probleme aufweisen. Wie kann das sein?